Nach dem heftigen Gewitter mit Blitz, Donnerschlag und prasselndem Regen nieselte es nur noch sachte. Ein Windhauch fuhr leis rauschend durch die nassen Halme und Blätter, übertönte das kaum wahrnehmbare membranige Plastik-Knistern und kühlte wohltuend. Wundervoll modriger Geruch entstieg dem lehmig rutschigen Erdreich, verwelkte Blätter, Blüten und zarteste Neuaustriebe bogen sich unter der nassen Last bis auf Augenhöhe. Zu erkennen waren sie im milden Zwielicht kaum, nur als Wechselspiel zwischen Schatten und noch mehr Schatten auszumachen. Beglückt schob man die Radula hervor und setzte an, zaghaft raspelmundend – göttlich! – …
„21“, murmelte eine tiefe Stimme, rüttelte die Plastiktüte zurecht, schob sie sich geübt zurück über die Finger, ohne dabei den Inhalt zu verlieren, und schlich weiter, gebückt, hoch konzentriert im Rausch der wildernden Jagd. Man wusste, dass es dem zickenden Rücken nicht gut tun würde, aber wer die Gunst der Stunde erkennt, den hemmt auch kein Rücken. Zu lustvoll war das Wissen, die Population um inzwischen 21 Stück dezimiert zu haben. 21 Stück legen 21mal ganz viele Eier … ein rascher Griff unter ein breites Salvienblatt: Ha! 22! … das ist eine halbe unversehrte Erdbeere mehr. Was ist schon ein Rücken gegen eine halbe Erdbeere. Der nächste Griff war ein instinktiver. Abrupt hielt die plastiküberzogene Hand in der Luft inne. Nein, Tigerschnegel nehmen wir nicht, nein. (Aber sie fressen genauso ungehem … nein. Denk ans Tigerschnegelfell.) Nach 58 Zählern gewannen Rücken und Unlust. Immerhin lag da noch die helfende Hand namens Metaldehyd.
Heute klebte eine Weinbergschnecke an unserer Küchentür. In Augenhöhe. Just zwei kleine Luftlinienmeter von derjenigen entfernt, die ich morgens beim Füttern der Hunde aus Versehen so zertreten hatte, dass sie sich nicht mehr flicken konnte und später genüsslich von den Velociraptoren einverleibt wurde. Beide rührten mich.
Schnecken mit Häuschen rühren gerne mal. Schon allein wegen dem Häuschen. Aber auch wegen der schmucken Namen. Schnirkelschnecke. Was ein Wort. Oder die mit dem Klimazone-8-oder-höher-Namen. Nacktschnecken können heißen, wie sie wollen, beim Erblicken eines solchen Wesens bäht es durch Mark und Bein und fröstelt das Rückgrat runter. Dieses schleimige Gekrieche, diese unförmig tumbe Masse in Kackabraun, diese aufdringlichen Teleskopaugennasen. Einfach nur widerekerlig.
Aber dann kam mein Schneckerwachungsmoment. Erschöpft vom Tagewerk saß ich auf der Bank, eine tumbe Masse Mensch, für ein seltenes Einmal nichts denkend und nur vor mich hinstierend. Da traf mich ihr Blick. Halb aufgerichtet stand eine durchfallbraune Nacktschnecke vor mir und streckte ihre Fühler in meine Richtung.
Unangenehm und gleichzeitig fasziniert berührt stierte ich zurück. Und dann begann er – der Schneckentanz. Ohne die Fühler von mir abzuwenden, kreiste ihre obere Hälfte, ganz langsam, behutsam, elegant zu einer unhörbaren Musik tanzend. Gebannt sah ich ihr dabei zu. Hypnotisch und sonderlich wurde mir dabei zumute, verbunden mit einem Geschöpf, das urplötzlich wunderschön erschien – die sonnenuntergangsbeschienen glitzernde Haut, der geschmeidige Körper, die wundervoll muttererdenbraune Färbung. Wer den Blick zuerst abwandte, weiß ich nicht mehr. Was ich aber weiß, ist, dass mein Blick auf dieses Geschöpf seit diesem eigentümlichen Moment ein ganz anderer ist.
Natürlich hatte ich schon vorher ein schlechtes Gewissen, ein Tier einfach deswegen zu töten, weil es mir gartentechnisch in die Quere kam (viele Tiere) (ganz viele). Aber es ging leichter vonstatten, als ich es auf das Gärtnerminimum reduzierte: Hässlich und apokalyptisch. Von da an aber schaute ich genauer hin, beobachtete, zollte Respekt und wünschte mir in vielen Momenten, ich hätte diese schneckige Gelassenheit gepaart mit zielsicherem Handeln, diese nachgiebige Durchsetzungsfähigkeit, dies elegante Selbstverständnis. Wie willst du da noch meucheln, ohne dass du dir ethisch in die Hosen machst?
Es ist ein Elend. Natürlich habe ich’s mit der Schneckenflüsterermethode versucht, den ungeliebt-geliebten Tieren sogar extra gesetzte Tagetes laut kommentierend auf den Buffetaltar geworfen, allein, sie hören mir nicht zu, verdammt noch drei. Die 101 Tipps zur natürlichen – liebevollen – Schneckenabwehr hab ich alle ausprobiert. Genützt haben sie einen dreckigen Pilz.
Kürzlich meinte meine Schwester, biologisch kundig, da sei halt eine so genannte „source population“, aus der für jede getötete Schnecke zig neue hervorquellen. Man müsste – so meine praktisch veranlagte Schwester – bloß rausfinden, wo die Source sitzt, dann käme man den Tieren bei. Ich vermute mal, optimistisch, wie ich bin, dass sich im nächsten Umkreis meines Gartens schätzungsweise fünfundfünzig solcher Sorspopjuleischens befinden. Ganz abgesehen davon. Wie soll ich so eine überhaupt finden? Bisher stieß ich noch auf keinen Wegweiser mit der Inschrift: „Source population Nr. 36. Hier lang.“
Anders herum gedacht: Will ich die Source(s) wirklich killen? Es nickt heftigst in mir, wenn ich an alle Gartenschätze denke, die leichenmäßig den Weg dieser Quelle säumen; wenn ich die Stunden hochrechne, in denen ich rückengebeugt aufgelesen hatte; wenn ich erschöpft auf den feuchten Rasen sinke und nicht mehr streiten, kämpfen, töten mag und nur noch ohmnächtig (kein Tippfehler) zusehen kann, wie ein lebensstrotzender Schneck an mir vorbeikriecht … geradewegs auf die neue Praaaatia … zu. Doch dann schiebt sich der Schneckentanz vor meine Augen. Kann, darf, will ich so ein Geschöpf von diesem Erdenrund verbannen?
Braucht jemand ein gutes Beispiel für Dilemmata? Bitte sehr.
Das, was ihr bisher gelesen habt, hatte ich schon geschrieben, als mir heute eine Klosterschwester gartensmalltalkig etwas erzählte, was ich euch weder vorenthalten kann noch will.
„Gestern Abend war ich in der Waldlichtungs-Grotte und frischte den Blumenschmuck rund um die Statue der Heiligen Jungfrau auf. Nichtsahnend guckte ich der Mutter Gottes ins Gesicht und hielt verdutzt inne. Da waren zwei Hörnchen auf ihrem Kopf. Als ich genauer hinsah, gewahrte ich eine riesige Nacktschnecke, die den ganzen Marienrücken hinaufgekrochen war und über den Kopf spähte.“
Die feuchte Atmosphäre entfaltet sich in den ersten Zeilen äußert spürbar. Die beschriebene Nässe nach dem Gewitter verlässt den Text förmlich und tropft aus ihm heraus. Die Einzelheiten des Garten ergießen sich über den Leser und treiben ihn als tosender Strom die Geschichte stromabwärts. Mir persönlich würde membranenes besser gefallen, von einer klanglichen Perspektive her betrachtet. Sehr schön auch die Verbindung eines Temperaturzustand, mild, mit einer visuellen Komponente, dem Zwielicht. Ich bevorzuge das Wort Duett, aber Wechselspiel gefällt mir auch sehr. Wahrscheinlich rührt diese Meinung von meiner Liebe zur Musik und zur Vermischung verschiedener Sinneseindrücke her. Hier wäre dann das visuelle Schattenspiel mit dem harmonischen, auditiven Duett verbunden. Ein favorisiertes Wort dieses Text wäre raspelmundend. :)!
Herrlich wie dem Leser erst am Ende des letzten Satzes dieses einleitenden Abschnittes gewahr wird, dass es aus der winzigen Perspektive einer Schnecke geschildert wird obwohl das Wort Augenhöhe es schon verraten haben könnte.
Schneckenplage:
Kackbraun, Durchfallbraun. Während das erste Wort das Vulgäre noch unter kindlichem Gewand verbirgt, weicht es einen Abschnitt später einer adulten, unverschönten Superlative. Diese rückt diese ecklig-fäkaliöse Faunaabart in noch schlechteres Licht. Doch der farbenintensivierende Effekt der Dämmerung spinnt seine seidenen Fäden voller Magie auch um schmierige Schleimklumpen um sie auf den Thron einzigartiger Kreaturskunst zu hieven. Beim Satz Hypnotisch und sonderlich….von zumute nach verbunden bricht für mich die logische Struktur kurz. Ich rechne nach dem verbunden auf eine weiter Gefühlsbeschreibung. Um Verwirrungen zu vermeiden, könntest du noch so etwas wie elektrisiert durch die Verbundenheit oder so einfügen um den Lesefluss aufrecht zu erhalten. Muttererden ist ein sehr gelungener Kontrastbegriff für die Farbe der Nacktschnecke indem er archaisches Vertrauen schafft, der die Versöhnung mit einem heimtückischen Gartendämonen erdet. Als wolle einen die gesamte Erde oder die Gartenerde personifiziert durch den Boten Nacktschnecke voller Liebe und Hingabe umarmen.
Sehr eindrücklich finde ich die Entwicklung von dir, der Figur in der Handlung, nach diesem bekehrenden Schauspiel der Nacktschnecke auf der Bühne der Dämmerung. Selbstreflexionen mit Fokus auf vergangene Taten, die nun in einem anderem Licht erscheinen, oder glorreiche Abstecher in humorvolle Gefilde mit den Source populations dienen der Tiefe deiner Geschichte und führen zu einer gesteigerten emotionalen Bandbreite. Als ob deine Umwandlung in einen gütigen Herrscher des Gartens, welcher sogar den Feinden gutes abgewinne kann, tiefe Wurzeln schlagen würde im Erdreich dieses Textes.
Wow!
“Doch der farbintensivierende Effekt der Dämmerung spinnt seine seidenen Fäden voller Magie auch um schmierige Schleimklumpen, um sie auf den Thron einzigartiger Kreaturskunst zu hieven.”
“Muttererde ist ein sehr gelungener Kontrastbegriff für die Farbe der Nacktschnecke, indem er archaisches Vertrauen schafft, der die Versöhnung mit einem heimtückischen Gartendämon erdet.”
Was bist du doch für ein Poet!