Nach Hause zu kommen heißt: Sofern mich nicht dringende andere Bedürfnisse oder unwirtliche Lichtverhältnisse daran hindern, gehe ich als erstes in den Garten und lasse mich von ihm begrüßen. Gut, er kommt nicht farnwedelnd angerannt, blütennickt nicht offensichtlich in meine Richtung und serviert mir auch keinen Willkommensnektar, aber er ist da. Nur für mich.
Während meines jeweiligen halb-, ein- oder mehrtägigen Fernbleibens hält er nicht nur ergebenst treu die Stellung, sondern kommt pflichtschuldigst seinen Aufgaben nach. Da wächst es, knosptöffnet sich, setzt Seitentriebe und Früchte an, kämpft die remontierende Schlacht gegen die Schnecken, verhüllt entblätternd, fällt um oder auch nicht, liebäugelt mit potenziellen Verkreuzungspartnern … eine minutentaktige Geschäftigkeit sondergleichen. Und das alles geschieht hinter meinem nicht anwesenden Rücken. Kann es mir da einer nachsehen, dass ich beim Heimkommen den inneren Drang verspüre, sofort nachzusehen?
Da ich höchst selten meinen Garten länger als einen Tag allein lasse, war das kürzlich erfolgte Nachgartenkommen ein ganz besonderes, und ich konnte es kaum erwarten, ihm gedanklich in die Arme zu fallen.
An dieser Stelle muss ich zugeben, dass er bei meinem endlich wieder Anblick nicht so aus dem Häuschen war wie ich; er tat so, als wäre ich höchstens eine halbe Stunde weggewesen. Aber eine halbe Stunde hat immerhin dreißig Minuten. Klopfenden Herzens ging ich von Beet zu Beet. Was ist in der ewig langen Zwischenzeit alles passiert?
Die Blüten des neuen Phlox’ paniculata „Hesperis“ sind inzwischen aufgegangen (pinkelipink … ein Zungenhänger der enttäuschenden Art – er wurde kurz darauf entschlossen ausgebeetet und eingetopft), der Stangensellerie ist groß genug, um bei der anstehenden Gartenparty für nette Knabbereien zu sorgen, die Kürbispflanzen haben ihr Volumen vervierfacht, die Tomaten wurden nicht ausgegeizt, die Knobläuchers sind jetzt reif für die Ernte, die verschollene Campanula hat ihren Status noch nicht geändert, die Ritter zeigen zaghaft ihre zweiten Triebe, die ausgepflanzten Gaurasämlinge lümmeln immer noch lustlos auf dem Boden rum und mitten auf dem Rasen kroch eine sterbende Schnecke dahin.
An der blieb mein Blick kleben.
Der Rasen müsste gemäht werden.
Ei, da sind aber wirklich viele neue Feigen am -baum.
Wie kurios. Die Clematis integrifolia blütenschubt noch einmal.
… (Wir überspringen den Rest.)
Ist er perfekt, mein Garten? Weit davon entfernt! Ist er zumindest schöner als alle anderen? Pffff. Warum aber habe ich genau dieses Gefühl, wenn er mich begrüßt? Notabene, nachdem ich mich in wirklich perfekten und schönsten Gärten aufgehalten hatte? Ganz einfach: Er ist meiner.
Da habe ich jeden Quadratmeter (wenn nicht –zentimeter) um/eingrabend in Händen gehalten, jede einzelne Pflanze hat ihre Geschichte, und alles, was nicht aussieht, wie es sollte, hat seinen Grund. Die fast zu Tode gepinkelte schwarzlaubige Ajuga, die nur ich ansatzweise sehen kann (Hunde); das nicht mehr vorhandene Exemplar eines Anthriscus sylvestris „Ravenswing“ (Schnecken); die von einem Hochbeet versteckte und darum arg verstimmte Astilbe „Brautschleier“ (ich); in der einen Ecke gestapelte leere Plastiktöpfe (Zeit) und die Erden- und Stecklingsrumliegesauerei auf den Wegplatten (Velociraptoren); das unter der Hecke hervordrängende Vermutlichunkraut (Bestimmungsunlust); … ja.
Vielleicht ist es gerade das: Was man einem gartenkundigen Besucher lieber nicht zeigt, macht letztlich dieses große Meins-Gefühl aus. (Gerade jetzt überfällt mich der Gedanke, dass der Identitätsfindungskrampf vermutlich ebenfalls am ehesten mit allen gerne verheimlichten Ecken und Kanten zu beantworten wäre. Nicht: „Wer ich bin? Also. Sekretärin, 27, brünett, ein sehr geselliger Mensch und liebe Katzen.“ Sondern: „Also. Morgens darf man mich nicht ansprechen, sonst reagiere ich aggressiv, ich bin nachtragend und mindestens so alt, wie ich aussehe, übertreibe es in geselliger Runde gerne mal mit dem Picheln und froste Schnecken.“)
Wie krieg ich jetzt den verfranzten Bogen zu dem hin, was ich doch noch so dringend erwähnen wollte? Egal. Für solche Feinheiten habe ich momentan keine Zeit, es blökt nämlich eine ellenlange To-do-Liste, auf der zuvörderst steht, dass ich sie mir bitte, gefälligst, endlich mal notieren sollte. Was muss der Mensch auch in die Ferne schweifen; das hat er nun davon. Nun gut. Immerhin erlebte ich in der Ferne einmal mehr etwas, was mir schließlich die Augen öffnete (ich brauche immer etwas länger, bis ich kapiere und die Hand an die Stirne klatsche – müsste in meinem Perso-Portfolio unbedingt auch erwähnt werden).
Also. Die Sache ist die. Da habe ich in einem Fremdgarten gearbeitet, was in meinem Leben schon mal öfters vorkommt. Und als die Zeit des Abschieds nahte, guckte ich eben dahin, wo meine Hände Hand angelegt hatten und wurde – Achtung, es kitschelt nun – sentimental. Da dröhnte die Erkenntnis. Ich hätte nicht gedacht, dass es sich auf diesen Nenner reduzieren lässt:
Wo du dir die Fingernägel noch schmutziger machst, in der Erde wühlst, einem Babyfrosch gut zuredest, von Samenständen gepiekst, gepeitscht oder gestreichelt wirst, einer Froschmama imitierenden Taube lauschst, am Plattenmoos riechst und selbstvergessen ulkige Lieder schmetterst, da hängt ein Stück deines Herzens. Schon noch beachtlich, wie viel Masse so ein Organ haben kann. Gehängt habe ich nämlich des Öfteren. Fremd und ganz, ganz, ganz viel daheim.
Ich bin wieder zugarten. Gott sei Dank.