Der Traum war sehr lebendig und zu allem Überfluss einer der schlimmen Sorte. Eine biblische Trockenheit hatte sich unseres Landes bemächtigt und dauerte nun schon seit Wochen, obwohl ich das – geschuldet der Traumunlogik – erst jetzt mitbekommen hatte. Verzweifelt hetzte ich durch meinen Garten, warf im Schnelldurchlauf meine Blicke überall hin und sah allenthalben dürre Ödnis und vertrockneten Tod. Herz und Magen verkrampften sich, die Schritte wurden langsamer, ich taumelte des Weges, bis … oh Freudenfunke, da lebte noch was! Da waren ungefähr zehn Pflanzen, die dicht nebeneinander noch einen Hauch von grünem Odem zeigten. Und welch glückliche Gnade, da stand doch tatsächlich meine Wasserflasche, die ich sonst immer neben dem Bett stehen habe, das einzig erhältliche Nass weit und breit. Kohlensäure hin oder her, es musste jetzt, sofort, stante pede lebensrettend gegossen werden. Im gerade erwachten Nachhinein war ich bass erstaunt darüber, dass ich im Traum keinen einzigen Gedanken an die Legionen von toten Pflanzen verschwendet hatte, es gab nur noch diese zehn, mich und Jubelhoch. Der Gedanke verflüchtigte sich schnell mal, als ich der tropfnassen Sauerei auf und neben meinem Nachttischchen gewahr wurde. (Ist wirklich so passiert – und es traf nicht nur alles auf dem Tischchen Befindliche, sondern auch noch das Regal daneben. Mit Fotoalben. Oh, ich hatte gründlich mineralgewässert.)
Seitdem hat sich mein Unterbewusstsein erfolgreich dagegen gewehrt, Gießvorgänge in meine Gartenträume einfließen zu lassen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Stattdessen träume ich meistens von dem Glück, ein Riiiiiiesengrundstück mein neues Eigen nennen zu können (mit Gewächshaus, da ist immer mindestens eines dabei und zwar ein wahnsinnig großes) und inbrünstig die evtl. bestehende Pflanzung zu begutachten, im Geiste abzuändern oder aber die Planung der Neuanlage anzugehen. Von dieser Gattung Traum gibt es manchmal gute, meist mittelprächtige und bisweilen saumiese Arten. Letztere bescheren mir träumenderweise pochendes Kopfzerbrechen, infernalische Erschöpfungszustände und ein reuendes Bedauern. „Hätte ich doch nur meinen Garten wie ehedem und nicht darüber hinaus diese vier Latifundien. Woher nehm ich bloß die Zeit dafür?“
Tja. Vor langen, langen Jahren hätte ich da naseweis gelächelt und mir selber einen Vortrag gehalten. Es gab da nämlich eine Zeit, in der ich gerade mal soviel besaß, dass ich stets wusste, was ich hatte. Vom Radierer über das Nudelsieb bis zum einen Reisekoffer hätte ich in meiner Einzimmerwohnung plus Kellerabteil jederzeit alles aufzählen können und war stolz drauf. So überzeugt man sich das Leben schön. Jedenfalls nahm ich mir damals vor, genau so weiterzuleben, bis ich mich dereinst glücklich und wissend von dieser Welt würde verabschieden können. Heute kommt mir das immer mal wieder in den Sinn, z.B. wenn ich die eine Schublade namens „Ich weiß nicht wohin, also steck ich’s da rein“ updatemäßig angehe. Vom Dachboden, Keller, den zig anderen Räumlichkeiten, die denselben Namen wie die Schublade tragen, dem Gartenhaus und Überhaupt ganz zu schweigen. Kommen wir jetzt endlich zum Garten?
Die damalige Prinzipienüberzeugung zeitigt heute noch ein paar verwaschene Spuren. Wenn ich einkaufe, dann überlege ich es mir in der Regel viele erschöpfende Male lang, ob ich das wirklich, wirklich brauche. Mit ein Grund, warum mein Nichtgärtner das Einkaufen unserer Lebens- und sonstigen Mittel übernommen und nach den ersten drei Gärtnereitouren mit mir auf weitere solche verzichtet hatte. Jetzt mal Hirn aufs Herz: Gerade bei Pflanzen stellt sich die geizige Gewissensfrage in höchstem Maße. Das Zeugs lässt sich doch vermehren! Gratis und franko, Mensch! Also wird, nach längerem Überlegen, Heimfahren, wieder Zurückkehren, Nachdenken, Heimfahren … dann nur ein Exemplar des Habenwollenmüssens käuflich erworben. Wenn überhaupt. Da kann das Farnweh noch so wehen, man beschränkt sich auf fast nichts, pflanzt es zu Hause sofort ein (da bin ich echt diszipliniert. Blökende Containerpflanzen machen mich unsinnig nervös.) und könnte sich dreimal die Stirn gegen das Schienbein rammen, dass man nicht zugeschlagen hatte, zumal drei von dem einen Ding jetzt echt nicht zu viel gewesen wären und überhaupt, warum bin ich viermal um das andere Ding rumgeschlichen, ohne es gekauft zu haben? Wäre perfekt da. Und zwar mindestens fünfmal. Ganz zu schweigen von jenen, die …
Zugleich befremdet, fasziniert und neidisch lese ich Forumlern nach, die von ihren Monsterbestellungen erzählen. Und die belassen es nicht dabei, nein, dann wird auch noch fotografisch untermauert, wie aus braunem Acker in Nullkommanichts ein Gestaltungsparadies wird. Ich denke dann jeweils missmutig an meine Beete, an denen ich schon Jahre rumpussle, an die Bereiche, die ich bewusst so rumwildern lasse, bis mir eines Tages die zündenden Ideen und reifenden Säm-/Stecklinge entgegen kommen, und könnte die Stirn nochmals, wie gesagt.
Ob ich weiß, was ich jetzt in meinem Garten habe? Von wem oder wann/wo gekauft, weshalb und in welcher Situation? Jein. Blind aufzählen könnte ich es wahrhaft nicht mehr. Und da gibt es so zwei, drei Angelegenheiten, bei denen mir jegliche Erinnerung abhanden gekommen ist. Meinem früheren Asketen-Ich könnte ich jedenfalls schon allein gartentechnisch nicht mehr genügen, dafür sind zu viele Jahre ins nicht dürre Land gegangen, da wurde zu oft gezaudert, um dann doch zuzuschlagen, zu regelmäßig vermehrt und geschenkt gekriegt.
Es gibt jedoch, so behaupte ich, einen nicht von der Hand zu weisenden Vorteil, wenn es um grünen Besitz geht. Rechne ich jetzt mal nach, was ich ja an sich nicht kann, aber ich tu mal so, als ob, dann stelle ich fest: Beim oben nacherzählten Traum verdorrten mir einige hundert Pflanzen und es verblieben gerade mal zehn. Rein proportional hätte ich also mit kargem übersichtlichem Besitz kaum mehr was zu gießen gehabt, wenn überhaupt, oder? „Genau.“, würde mein altes Ich entgegnen, „Und dann hättest du deinen damaligen Morgen auch nicht mit Aufwischen und dem Trocknen deiner lieben viel zu vielen Dinge verbringen müssen.“