Zum Geburtstag überreichte mir mal – mit breitem Grinsen – ein speziell arglistiger Freund einen Gartenzwerg. Made in China. Aus Plastik. Von einer dergestaltig hässlichen Scheußlichkeit, dass ich das 30-Zentimeter-Geschöpf beinah wieder lustig fand.
Weil den Freund mein spontan geschockter Blick aufs Köstlichste erbaut hatte, setzte er ein Jahr später einen drauf: einen zweiten, diesmal mit Laternchen statt Spaten in der einen Hand.
Da ich nur mit Mühe etwas wegwerfen kann und mir bei allem angestrengten Nachdenken niemand in den Sinn kam, der die doppelte Zwergengabe nicht als Beleidigung aufgefasst hätte, platzierte ich sie in je eines der zwei dreieckigen – auch vom Vorbesitzer nie geputzten – Guckfenster des Gartenschuppens. Die befinden sich hoch oben, da, wo man in einem Garten nie hinsieht. Der perfekte Platz also.
An einem strahlenden Sommertag, ich werde ihn nie mehr vergessen, besuchte mich ein Ehepaar aus Mississippi. Wir standen im Garten, sahen vergnügt plaudernd den rumtollenden Hunden zu, als die Frau aus welchem schrägen Grund auch immer in die Höhe guckte, geradewegs zu den dreieckigen Schaufenstern. „Was ist das denn?“ rief sie mit heller Stimme. Betreten schaute ich auf meine Zehen, stotterte was von „ja, ich weiß“, „scheußlich“, „Insidergag“ und fragte abrupt, wer denn jetzt Lust auf einen leckeren Kaffee hätte.
Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, dass Mississippianer Gartenzwerge aus Plastik nicht nur umwerfend komisch finden, sondern auf Teufel komm raus auch solche haben wollen. Anfangs witterte ich noch Veräppelung, aber die meinten das tatsächlich ernst: „Stell dir vor, Peter, in unserem Vorgarten … wir wären die Schau! So was hat niemand in der ganzen Nachbarschaft!“ (Nun, in meiner auch nicht. Hust.) Peter grinste breit, tätschelte einen der Hunde und fragte beflissen, wo man so was denn kaufen könne. Wortlos schritt ich in den Schuppen, stieg auf die Leiter, packte beide am Nacken und übergab sie zeremoniell. Freudentränchen glitzerten in all unseren Augen.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, was für ein Tag es war, ob im Sommer und ob er strahlte, aber sehr wohl an die unbändige Freude, die ich empfunden hatte, als der kleine Marmorlöwe die Waschbetontreppe hochgetragen wurde. Sein Plätzchen erhielt er neben der einen Ilse Krohn Superior, damals auch nicht viel höher als 40 Zentimeter.
Strahlend weiß, mit königlich hängenden Lefzen und barock gestalteter Wollmähne saß er aufrecht da und blickte abgeklärt nach rechts.
(Der musste einfach her, aber bitte fragt mich nicht, wieso. Ich habe keinen blassen Schimmer mehr. Ein Garten ohne Marmorlöwen war nach meinem damaligen Weltbild kein Garten. Heute sehe ich das etwas anders.)
Ohne diesen Marmorlöwen wäre der Garten nicht meiner. Er gehört genau so dazu wie die wacklige Gehwegplatte am Fuß der schönen Steintreppe. Würde sie neu verlegt und wäre trittsicherfest, wäre ich monatelang destabilisiert. Mindestens.
Tage zogen ins Land, das Wetter kam und ging, der Löwe blieb sitzen. Einmal hob das arbeitende Erdreich seinen Popo, das andere Mal hatte er eine leicht angesäuselte Schlagseite, ungerührt sah er immer noch stoisch nach rechts, abgesehen von einer kaum wahrnehmbaren, beginnenden Errötung seiner Wangen. Ich schob ihm besänftigend Steine unter Popo und Vorderpfote, die Röteln breiteten sich weiter aus. Dass es sich um Flechten handelte, wagte ich nicht anzudenken, vielmehr hatte ich die Hunde im Verdacht. Besonders der ganz Große liebte es, sich hinter oder neben die Raubkatze zu setzen und ebenfalls lefzenhängend philosophisch in die Welt zu schauen. (Eine halbe Minute lang. Dann sprang er auf und raste quer übers Beet einer Hummel nach.) So Hunde, gerade die großen Sabbernden, schleppen erstaunliche Mengen an Dreck mit, außerdem pinkeln sie – wenn männlich – mit Vorliebe an aufragende Gegebenheiten.
Wie unsere ehemaligen Baumschneider, die bei ihrem ersten Erscheinen samstags um halb sieben klingelten, unsere zerzausten Köpfe aus der Türe blinzeln sahen, ohrenbetäubend schmetterten: „Na, aber hallo! Immer noch am Pennen oder was?“, und ohne weiteren Kommentar durch den Schnee zum Kirschbaum stapften. Etwas bedröppelt schoben wir den Schlafzimmervorhang eine Nasenlänge beiseite und schauten abwechselnd den beiden kanadisch wirkenden Bauern zu, wie sie sich mit hochgeklappten Ohrenmützen und Motorsägen am Baum zu schaffen machten. Als sie fertig waren, waren wir es auch – frisch geduscht und bereit für den Plausch mit den Brüdern der Frau unseres Vermieters. Die Bräuche dieses Landes kennend boten wir Bier? Schnaps? Kirsch? an, wurden aber eines Besseren belehrt: „Oh nein, kein Alkohol, den vertragen wir nicht. Ein Glas Wasser, das würde uns freuen.“ Und so standen wir angeregt plaudernd auf dem Parkplatz, als der eine gezielt zur Ligusterhecke stapfte und sie in aller Selbstverständlichkeit anpinkelte. Der Nichtgärtner guckte von ihm zu mir zum ungerührt weiterparlierenden Bruder und wieder zu ihm, ich zu Boden, zum Nichtgärtner und in die – ein Lachen verkneifend – Ferne. Die Coen-Brüder hätten ihre wahre Freude an den beiden Gesellen gehabt.
Jahre später. Zwei Frauen standen gebückt beim Löwen, fingerzeigten auf dessen Wangen, einige der Mähnenlocken und den Rücken. „Schau genau hin, da hast du ein Flechtenbaby, da, dort, hier, überall sind sie. Die werden mal alle erwachsen.“ Die Nick-ende freute sich, die andere – weil blutsverwandt und unterweisend – ebenso.
Der Leu ist gealtert. Wie man in einem Garten zu altern hat. Und das ganz ohne Joghurt.*
*Dies könnte nun missverstanden werden. Joghurt hat nichts mit Gesichtskosmetik zu tun, sondern wird pinsel-spachtelnd verwendet, um unbefleckten Steinen in kurzer Zeit die erwünschte flechtig-moosige Patina zu verleihen.
Inzwischen sind auch die rechte Vorderpfote und der linke Oberschenkel bräunlich-rot. Ein prächtiger Kerl! Sinnbild für weise Reife, gelassene Hinnahme, genügsame Muße und urteilloses Sehen. Könnte er denken und damit auch urteilen, was wäre ihm wohl in all den Jahren durch den Kopf gegangen? Wie damals, als er sah:
Der Igel, der wagemutig ins Indianerland gewatschelt kam, sofort dreifach verärgert angebellt wurde und kurzerhand beschloss, der gesamten Igelpopulation des Ortes mitzuteilen, dass hier nicht gut Schnecken fressen ist.
Ein eleganter, beherzter Sprung aus dem Beet, der damit endete, dass man – den einen Fuß in einer Staude verheddert – bäuchlings auf dem Rasen landete. Kurze Kontrollblicke um einen geworfen … gut. Hat niemand mitgekriegt.
Der letzte, torkelnde Gang nach draußen, erst vom lefzenhängenden Großen, ein Jahr später von der Mittleren, die nun nicht mehr unter der Feige zu schlummern pflegt.
Die Feige, wie sie gepflanzt wurde, nachdem man zwei Wochen damit verbracht hatte, einen alten Flieder mit Stumpf und Stiel zu entfernen („Der macht zu viel Schatten, der muss weg.“ …).
Der Hochdruckreiniger alle zwei Jahre, der auch vor der Waschbetontreppe nicht Halt macht, nachdem man schon dreimal auf feuchtem Moos ausgerutscht und nur mit viel Dussel einem Genickbruch entgangen war. Und wie es die Treppe der sandgestrahlten Reinigerin dankt.
Und täglich zur blauen Stunde der Rücken des sitzenden Menschen, der dasselbe tut: Müßig sehen.
Ohne diesen Marmorlöwen wäre der Garten nicht meiner. Jede Flechte auf ihm steht für eine Garten-Erinnerung von mir. Und was sind Erinnerungen anderes als einzelne Anekdoten, die – aneinandergereiht – ein verflochtenes Ganzes ergeben.
Merkwürdig, dass ich ihm noch keinen Namen gegeben habe.
“Ich brauche einen Marmorlöwen!” war mein erster Satz zu GG, nachdem ich Deinen wie immer sehr poetischen Grünton gelesen hatte.
“Was?” fragte er, irritiert von seiner Bienenwebsite aufsehend.
“Ich brauche einen Marmorlöwen”, wiederholte ich.
Und, nach einer Sekunde Überlegens, “Nein. Ich brauche keinen.”
Ich denke, jeder von uns hat seinen persönlichen Leu im Garten. Manchmal muss man nur ein wenig suchen, um ihn zu finden. Aber er ist schon da. Ich weiß es.
Danke, Nick, für diese wundervolle Anregung.
Eben deinen Kommentar meinem GG vorgelesen. 😉
Du hast es witzig und berührend zugleich rübergebracht – ja, jeder hat seinen eigenen Leu; es ist ein Stuhl vielleicht, eine Vogeltränke, ein Stein, ein Gartenzwerg, … Hast du ihn inzwischen gefunden?
Danke, Erhama, für deinen Kommentar!
Nein, noch habe ich ihn nicht gefunden… Ich habe auf etwa 2 QM Minze und Schachtelhalm gerodet, die einzigen bemerkenswerteren Funde heute waren zwei Schneckengelege und ein Wespennest, in welches – weil von oben nicht sichtbar – ich unvermutet meine Grabegabel gestoßen hatte.
“Die einzigen bemerkenswerten Funde” – der ist gut. Letzteres zog hoffentlich kein Aua deinerseits nach sich …
As they age, covered in moss, lichen and weathered through time – that they are Lions is less recognizable to others, but even more so to you…
Thanks for your words (poetic as they’ve always been).
Jaaaa, so einen “Leu” haben wir auch….ist aber ein Ton-Huhn. Es steht mal hier, es steht mal dort….ist bestimmt schon 20 Jahre alt
ach ja, einen Gartenzwerg haben wir auch….ein Schwimmreifen :-))
einfach wieder nur klasse :-*
Das Tonhuhn tät ich zu gerne sehen – hier kann man ja anscheinend auch Bilder einstellen … (hab’s bisher noch nicht ausprobiert).
Ein Schwimmreifen? *lach*
Wie kommt’s?