Es stehen hier noch einige wenige Laufmeter und zwei Kugeln, aber viel Zeit ist ihnen nicht mehr beschieden. Dann wird er dahingehen, der letzte Buchs meines Gartens. In einem schnöden Kofferraum. Der vor geschätzten zwei Jahren zum letzten Mal gesaugt worden ist. Oder vor drei, wer zählt das schon. Fanfaren werden keine erklingen, ein großes Tamtam habe ich nicht geplant, die Leichen werden in den Grüngut-Container unseres Dorfes gekippt und die Trauer darob gänzlich vergessen, weil mir just dann wieder in den Sinn kommen wird, dass es diesen mit unseren Steuergeldern finanzierten Container in Kürze nicht mehr gibt und jedes einzelne Grüngutkilo gebührenpflichtig wird entsorgt werden müssen. Getreu dem Motto:
Kehr vor deiner eignen Tür
und zahle bittschön auch dafür.
Die haben ja recht, faire Ordnung muss sein. Aber man hat sich schon so an diesen Container gewöhnt, da fällt der Abschied halt schwer. Fast schwerer als der vom Buchs.
Es gibt gewisse Gefühle, die sich mit der Zeit abnutzen. Man hüpft nicht drei Jahre lang glückselig durch das Leben, weil die zwei »winterharten« Agapanthen tatsächlich winterhart sind (und zwar winterknallhart, wie es sich diesen April nach der brutalen Spätfrostnacht herausgestellt hatte). Irgendwann regt sich vielleicht noch die Ahnung eines Freudenhüpferchens im Herzen, bis auch dieses verblasst und der erwarteten Selbstverständlichkeit weicht. Dann ist so ein Agapanthus nicht nur winterhart, sondern hat es gefälligst auch zu sein. Oder, um ein vielleicht eher allgemeines Beispiel zu nennen: Nicht nur im Buchs flattern Schmetterlinge umher, auch im Bauch finden sich hin und wieder welche ein. Doch egal in wen oder worin man sich verliebt, die für diese höchst alberne Phase benötigten Hormone gehen einem irgendwann aus; zum beruhigenden Glück für uns und unser Umfeld, seien wir ehrlich. Und, um auf den Punkt zu kommen, es zittert beim fünfhundertvierzigsten Griff kein anschwellendes Tränchen mehr im Auge, weil man diesen Buchs, dem man seit dessen Kindesbeinen ungeduldig beim Wachsen zugesehen und ihn angefeuert hatte und der verflucht nochmal just jetzt so zusammengewachsen war, dass man ihn auch tatsächlich als »Hecke« bezeichnen durfte, weil man diesen Buchs also – ja, so zynisch ist die Grinsekatze namens Natur – auch noch selber, mit eigenen Händen und Werkzeugen wieder rausreißen muss, und dies einzig und alleine aus zwei Gründen, an denen man noch nicht mal schuld war, Herrgott und Sackerment, dem Pilz und Zünsler nämlich. Oh, es ist vielschichtig, das Buchsabschiedsgefühl, es steckt voller Selbstmitleid, ohnmächtig-heiligem Zorn und Trauer. Nichtsdestotrotz mag es sich bei mir nurmehr selten zu melden und wenn, dann dumpf.
Oder es konzentriert sich auf die Begleitumstände. Auf den labyrinthischen Kräutergarten zum Beispiel, der nach vier abtransportierten Wagenladungen einfach nur erbärmlich aussah. Nicht nur buchsnackt, sondern schlichtweg schlimm. Dass nämlich in den buchswurzelverseuchten Beeten immer weniger richtig wachsen wollte, war nur deswegen kaum aufgefallen, weil man es vor lauter Buchshecken gar nicht erst hatte sehen können. Kaum war der Großteil davon weg, hinterließ er nebst der hässlichen Umrandungsschneise ein darbendes Himmelherrje an jämmerlichem Wachstumsversuch. Und damit das auch so richtig auffiel, hatten die hölzernen Wegplatten Anfang dieses Jahres einstimmig beschlossen, sich ab sofort unaufhaltsame Rotte-Symptome zuzulegen. Das wohlgemerkt, obwohl sie nicht gleichzeitig verlegt worden waren. Man machte es mir nicht leicht.
Inzwischen ist übrigens Juli, die Beete haben sich dank Kompost, Rasenschnittmulch und – selbstverständlich – ungeheuer viel Liebe erstaunlich gut erholt, und nun wächst es dort unten gar so ungestüm, dass man sich auf den Wegplatten kaum fortbewegen kann, ohne beständig über Rumhänglümmelndes steigen zu müssen. Das lenkt ab. Von der Verrottung der Wegplatten beispielsweise, was ja eigentlich ein Vorteil wäre und mich theoretisch unbedingt versöhnlich stimmen müsste. Tut’s aber nicht. Ganz und gar nicht tut es das. Mit der Buchshecke hätte das nämlich nie passieren können. Dieses In-den-Weg-Reinhängen, dieses disziplinlose. Nein, Versöhnung ist momentan schlicht nicht drin.
Genau. Stinkesauer bin ich. Stin-ke-sauer. Hat sich doch dieser Zünsler einfach hinterrücks davongeschlichen. Ich mein, da ist man jahrelang froh, dass er nicht auftaucht, und wenn er dann doch kommt und man die geistige Größe besitzt, sich damit abzufinden, mehr noch, man rechnet fortan sogar mit ihm, dann haut dieses zuchtlose Zeug von heut auf morgen einfach ab.
Vielleicht müsste ich mich an dieser Stelle erklären.
Nebst dem Buchsentfernen habe ich ja nun auch noch ein Leben. Dieser Umstand brachte mich auf die Idee, mir dieses Entfernen so einfach und leicht zu machen wie nur irgend möglich. »Wozu mir die Mühe machen«, so dachte ich listig, »jeden einzelnen Buchs auszugraben? Ich kapp die nur knapp überm Boden, und sobald sie wieder austreiben, fallen die Buchssauger drüber her und befördern sie ins wurzeltote Jenseits. Anschließend brauch ich die nur noch rauszuzüpfeln. Wie clever!« Damit mein Plan auch ganz sicher klappte, ließ ich einen anständigen Rest an Pflanzen ungeschnitten stehen. Schließlich wollte ich den Zünsler nicht aus Versehen vergrämen, ganz im Gegenteil. Von nun an sollte er mein dickster Verbündeter sein, weswegen mit Bedacht für sein leibliches Wohl gesorgt sein wollte.
So wurde aus der ängstlich ärgerlichen Überprüfung, ob da Blattgerippe und Gespinste zu sehen sind oder es penetranter als gewöhnlich nach Buchspipi riecht, auf einen Schlag eine hocherfreut befriedigte. »Ja, meine Wonnewürmchen, fresst, schlagt euch den Buchsbauch voll und hört nicht auf damit«, wisperte ich zwischen die Blattrippen hindurch. Auch wenn der Schachzug clever gewesen sein mochte, so hurtig die Fronten gewechselt zu haben, fühlte es sich noch zu anrüchig an, als dass ich es lautstark der Welt verkünden mochte. Lange aber brauchte ich nicht leise sein, denn kurz darauf verschwanden sie, die unverhofft liebgewonnenen Wonneproppen. Waren einfach weg. Als hätt es sie nie gegeben. Sogleich ihre Chance witternd, begannen die ersten Buchse in kräftigem Frischgrün neu auszutreiben, erst die angefressenen, dann die über dem Boden gekappten. Ich sag’s jetzt platt, aber dafür so, wie es wirklich war: Verarscht fühlte ich mich. Und zwar gründlich.
Ich hätt’s wissen müssen. Die Tierwelt ist nur dann mit Feuereifer dabei, solange es verboten ist (womit sie anderen Geschöpfen auf dieser Erde verblüffend ähnlich sieht, besonders wenn diese noch nicht ganz ausgewachsen). Wehe, es wird urplötzlich erlaubt oder – meiner Treu – gar erbeten! So geschehen, als ich mich ungeheuer clever dünkte (ja, ich dünke so des Öfteren), die Schaufel zur Seite legte, meine drei Hunde herbeipfiff und strahlelächelnd zum angebuddelten Loch im Rasen nickte. Heftig und mehrfach. Die zwei Großen standen vor mir und sahen rätselnd hinauf in mein nickendes Gesicht, der Kleine drehte sich gelangweilt um und schlurfte davon. Kurz: Niemand wollte seine helfende Pfote darbieten, man latschte davon oder legte sich laut seufzend auf die Seite, um kurz darauf leise zu schnarchen, während ich, allein gelassen, am Schaufeln und Schwitzen war. Wie viele verbotenerweise gebuddelte Löcher ich während meines hundebegleiteten Lebens auffüllen durfte, weiß ich nicht genau, aber es waren viele und sie verleihen auch noch im Nachhinein dem Wort «hundsgemein» eine ganz eigene Tiefe.
Dass auch Zünsler hundsgemein sind, wäre ein Erklärungsansatz gewesen, ein anderer die Spatzentheorie. Als die Raupen nämlich diesen Frühfrühling mümmelnd dahergekrochen waren und sich schon recht fett gefuttert hatten, taten die Spatzen verheißungsvoll. Wie von Sinnen stürzten sie sich in die Buchshecke, erhaschten, landeten damit auf dem Parkplatz (nicht, dass die den extra anvisiert hätten, der liegt gleich daneben), ließen los, pickten wieder auf und flogen davon. Ganz viele Spatzen. Und ganz oft. Die Vermutung, dass es sich bei den Opfern um den Falter handelte, lag so nahe wie der Parkplatz beim Kräutergarten. Die Gewissheit aber blieb aus, weil ich nichts Genaues sehen konnte und weil man Spatzen nicht ansprechen, geschweige denn ausfragen kann. Da aber Experten dauernd herausfinden, dass der Zünsler immer noch keinen einheimischen Fressfeind kennt, hatten die sich den Kropf vermutlich mit etwas Harmlosem vollgeschlagen. Dem Buchsbaumfloh wohl. (Meiner Buchs-Lebensgeschichte kann ein gewisser shakespearehafter Sinn für Dramatik nicht abgesprochen werden. Der Buchsbaumpilz allein reichte nicht, es musste auch der Zünsler her. Und weil dem Drama offensichtlich noch nicht Genüge getan war, ließ man auch noch den Floh darin rumhüpfen. Der tut dem Buchs zwar nichts, aber wen kümmert das schon. Shakespeare garantiert nicht.)
Weitere Erklärungsansätze hatte ich nicht, weil mir die Zeit dafür fehlte.
Viel zu viel hatte ich damit zu tun, mich zu freuen. Darüber, dass nicht nur die Agapanthen die aprilige Frostnacht überstanden hatten, sondern auch die Maulbeere, der Szechuanpfeffer, der Ginkgo und die Glyzine. Drei nicht europäische Haselwurze fielen ihr zwar zum Opfer, aber damit war zu rechnen, damit rechnete ich schon bei deren Kauf im Herbst. Es tut zwar nichts zur Sache, aber es sei trotzdem erwähnt: Ein mir ungewohnt frivoler Wagemut hatte mich an jenem Kauftag ereilt, der mich dazu veranlasste, auch bei der hinreißenden Begonie mit dem ebenso hinreißenden Namen ‘Garden Angel Silver’ mein mahnendes Bauchgefühl zu unterdrücken, dass die keinen einzigen Winter überstehen würde, egal wie mild der daherkäme (womit mein Bauch im Übrigen recht hatte – die war schon im Januar hinüber). Die Frostnacht bescherte mir also eine Freude, die dergestalt nie aufgekommen wäre. Wer hätte die mit Zünslergrübeleien trüben wollen.
Ich nicht.
Inzwischen ist August und ich um zwei Erkenntnisse reicher: Zünsler sind kooperativer als Hunde und weniger winterhart als Agapanthen. Tja. Es war der unerwartet späte Frost, der mir in einer einzigen Nacht all meine neuen Helfer weggeputzt hatte. Doch was ein rechter Zünsler ist, lässt sich nicht ins Buchshorn jagen. Irgendwann im Juli tauchte er unverhofft wieder auf und seitdem gibt er sich alle Mühe, mir das Leben zu erleichtern.
Gestern Abend ging ich durch den Kräutergarten, ergötzte mich an den rubinroten Adonisblüten, am gerade erschienenen dritten Blatt des neu zugezogenen Akanthus, am, nun ja, etwas gar verschroben-horizontalen Wuchs der Aster lateriflorus ‘Lady in Black’ und blieb irgendwann bei der bereits beige gewordenen Buchshecke stehen. Als ich genauer hinsah, starrte mir nur Unbelebtes entgegen. Sorge machte sich breit, zu Recht, denn in der Nachbarschaft wird schon seit letztem Jahr gespritzt und zwar großzügig. Doch dann sah ich vergnügtes Zünslergrün durch das Zweiggewirr purzeln auf der Suche nach restlichen Blättchen. Dankbar und wehmütig zugleich blieb ich noch ein Weilchen stehen. Bald wird er verschwunden sein. Zusammen mit dem Buchs.
Mein Gott hat sich die Wartezeit völlig gelohnt ! 😀
Vielen vielen Dank an Dich für einen – wiederum – solchen spannenden Text !
Genau darauf hab ich gewartet!
LG Jule
Ja der Buchs geht einem durch den “Buuch”.;) (Buuchsgefühle.)
Bin von jeglicher Buchsabgeklärtheit noch weit entfernt, habe mich aber sehr an deinem Augusttext gefreut. (Zum Glück(?) habe ich weder Begonien noch Agapanthen.)
LG neo
Schön, dass du wieder da bist. ?
Eure Zeilen wirken wie ein Hyperkoffeinmotivationsschub. Danke euch!
neo: Zum Glück keine Agapanthen? Ich bin verwirrt. 🙂
Von dem ganzen “Buchsgeschwätz” bin ich`s wohl auch, verwirrt.;) Deine Agapanthen sind ja knallhart winterhart. (Ist der Buchs aber auch!):)
Das mit dem Grüngutcontainer übrigens und mit dem extra Bezahlen für die Entsorgung…, bin einigermassen irritiert. Im kleinen CH-Garten sind meine Container schon auch wichtige Mitspieler und ich hoffe, das zumindest bleibt so einfach wie es bisher war.
Ich drück dir ganz doll die Daumen, dass es bei dir containertechnisch so angenehm bleibt, wie es war. Dank dem Kantönligeist (bzw. Gmeindligeist) kannst du da ja guter hoffender Dinge sein.
Tja, wir haben keinen Buchs ;-), zum Glück oder auch nicht. Ich kanns nicht so genau sagen. Auf jeden Fall hab ich diese Räupchen noch nie gesehen.
Aber ich bin froh, das es wieder neue Grüntöne gibt. Und es hat sich wirklich gelohnt die Wartezeit :-*
Keinen Buchs? Dann hattest du also auch tatsächlich nie das Buchsgefühl?!?
*streichelt voller Mitgefühl über Bienchens Kopf* ;-D
nein, hab ich nie gehabt
obwohl hier tatsächlich irgendwo einer rumstehen müsste. Allerdings hab ich es ja mehr mit Gemüse 😉
ich werd morgen mal schauen, wo der Buchs geblieben ist. Vielleicht kann ich den ja doch noch lieb gewinnen 😀
Wie schön, dass es wieder Gartentexte von Dir gibt.
Mit einem Lächeln kann ich nur immer vor mich hinnicken. Genau, so ist es.
Das Buchsthema habe ich . . . Jahr um Jahr . . . hinter mich gebracht. Will heissen: stückweise. Erst einen grossen Teil der Buchsumrandung. Einen Sommer später einen weiteren Teil, da der Pilz radikal zuschlug und im nächsten Jahr den Rest der Umrandungen. Dann eine Riesenkugel, die sich der Zünsler einverleibte. Im Schatten, hinter den Kompöstern, eine sattgrüne Buchshecke (1.50 m hoch) hielt ich für immun. Falsch! Vor gut einem Jahr, Anfang August: ratsch – innert Tagen alles weg. Auch diese ist inzwischen weg. Tränen hatte ich auch keine mehr, nur noch eine Wut – und die gab mir dann auch die Kraft, auch diese noch auszuhebeln. Thema abgeschlossen, oder beinahe. Eine einzige kleine Kugel wehrt sich bis jetzt und bleibt grün – das sage ich jetzt ganz ganz leise . . .
Nun kann ich mich also wieder auf weitere Grüntöne freuen. Danke Dir und Deiner Muse
L.G. Saattermin
(Flüstermodus an.)
Gott sei Dank können Zünsler nicht lesen!!!
(Flüstermodus aus.)
Grüss das Kügelchen von mir!
Danke, bin jetzt über Schnegel und Buchszünsler endlich aufgeklärt.
Ich wusste gar nicht, dass du auch auf den Hund gekommen bist.
Hoffentlich auf bald mal wieder…
Ja, hoffentlich bald mal wieder hier im Blog … irgendwann werde ich bestimmt die Zeit dafür finden (eingeklemmt zwischen zwei Schubladen, unter dem dritten Bürotischstapel und an sonstigen interessanten Stellen stecken sie für gewöhnlich, die Minuten und – wenn man ganz grosses Glück hat – sogar mal eine Stunde).
Hoi Du! Eine Wonne, Deine Texte!! ((-:
Danke dir, bist ein Schatz! :-*
(Die Muse stösst mir gerade sehr unsanft ihren Ellenbogen ins Ohr. Ich soll sagen, dass es nur wegen mir keine neuen Texte gäbe, sie dieses Mal völlig unschuldig sei und sich deswegen grün und schwarz ärgere.)