Gastautorin: Die Unmögliche
In diesem Gartenblog schreiben? Einen Gastbeitrag? Iiich? Nebst der Dankbarkeit für die grosse Ehre freue ich mich sehr über die Chance, der Welt die Augen zu öffnen.
Fluffige Häschen, Katzenvideos oder treue Hundeseelen sind nur die Spitze des Eisbergs aus Hundekütteln, Leberegeln, Schaben, Schleichkatzen, Schmeiss- und anderen Fliegen, Stink- und Trumpeltieren, Aasgeiern, Stachel-, Warzen- und anderen Schweinen sowie der gemeinen Blattlaus. Auch wenn einige Tiere durchaus wohlschmeckend oder wirklich prima (Raptoren!) sind: Die Fauna ist grösstenteils unschön, von Bazillen oder – behüte! – Viren ganz zu schweigen.
Ganz anders dagegen Pflanzen. Alle mögen Pflanzen, Gärtnern ist der neue Megatrend. Cottage Garden und Urban Gardening! Rosenbögen und der Scholle abgerungene Peterli verzücken selbst Menschen, denen ein Froschlöffel bis vor kurzem noch ein französisches Besteckteil war. CO2 wird tonnenweise ausgestossen, weil die ultimative Lenzrose oder Asimina excelsior ‘Halleluja’ nur in entlegenen Gegenden in ganz bestimmten Gärtnereien, die grundsätzlich nicht versenden, erhältlich sind. An guten Tagen jedenfalls. Manchmal. Pflanzen fressen – von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen – keine anderen Lebewesen. Sie rennen nicht davon, beissen nicht, machen nicht auf den Teppich und sind ja sooo dankbar. Das schlägt sich auch in der Benamsung nieder: Tausendschön, Ehrenpreis, Brennende Liebe, Massliebchen, Fleissiges Lieschen, Jelängerjelieber: Pflanzen sind toll. Die paar Giftpflanzen können ja nichts dafür. Nahrung! Farben, Arzneien (pflanzlich ist immer gut), Parfüm! Pflanzen können nicht nur kein Wässerchen trüben, sondern sogar Abwässerchen klären. Das pflanzliche Image ist untadelig und wahrscheinlich mehr wert als die Marken Apple, Coca Cola und das Matterhorn zusammen.
Und es ist falsch. Flora ist perfide, durchtrieben, bösartig und skrupellos. Nicht nur die Fleischfresser – die sind eigentlich das allerklitzekleinste Übel. Doch da gibt es Würgefeigen. Und Kudzu, der ganze Landschaften überrennt. Ambrosia, die allergene Pollenschleuder trotz des lieblichen Namens (Image, ich sag’s ja) oder der Giftsumach, King of Rash, mit seiner fiesen Strategie, die erste Berührung harmlos scheinen zu lassen. Trampelkletten sind auch nicht das, was man als Huftier im Fuss finden möchte, wenn man noch ein paar Tagesmärsche vor sich hat.
Oder Durian. “Das breitet sich aus! Im ganzen Körper!“ ist eine typische Reaktion, wenn man aus Versehen ein Stück inkorporiert hat. Entsetzliche Szenen spielen sich dabei ab. Wer je in eine Mischung aus Titanwurz, Camembert und Fischkleister gebissen hat, weiss Bescheid. Pflanzen können ganze Gärten unterwandern und die Arbeit von Jahrzehnten in zwei unbeaufsichtigten Sommern in Gestrüpp verwandeln. Sie zwingen Gartenpersonen (neutral genug?) in die Knie und an die Grabgabel, um den Myriaden von Ausläufern, Stolonen, Rhizomen und Wurzelsprossen nachzuspüren in ungeahnte Bodentiefen. Natürlich vergebens. Ein kleiner Teil, gespickt mit spriessfreudigen Nodien, wartet nur darauf, wieder loszulegen. Die üblichen Verdächtigen heissen Giersch, Quecke, Zaunwinde, Schachtelhalm und sind immerhin schon immer dagewesen und kaum vermeidbar.
Man kann sich den Feind aber auch selber in den Garten holen, liebevoll einpflanzen und sich anfangs über jedes neue Blättchen freuen. Nach dem ersten Winter ist die Freude gross: Der blaue Beinwell hat ein paar Ablegerchen gemacht, die Lampionblume auch, und der Baummohn scheint noch zu leben. Ein paar Jahre später ist es zu spät. Die Lampionblume tummelt sich in allen Beeten, wird dort aber vom Gelbweiderich, der irgendwie mal als Geschenk, aber Genaues weiss man nicht …, überrannt, und der Beinwell (Symphytum caucasicum, andere Arten sind manierlicher) ist überall. Der Baummohn hingegen, eine gehätschelte Spezialität, findet sich plötzlich im Haus wieder – ist wahr, ich schwöre! Coronilla varia, diese hübsche rosaweisse Kronwicke, ist in leichtem Boden noch schlimmer. Es gibt Gerüchte, dass diese Probleme mit schwerem Gerät, Herbiziden und anschliessendem Umzug in den Griff zu bekommen sind – wenn nicht ein sentimentaler Mitbewohner ein paar Erinnerungsableger … Dramen. Dieses Verhalten wird von Gärtnereien, die mit dieser Guerilla gemeinsame Sache machen, gerne als „frohwüchsig“ umschrieben. Soll nachher niemand kommen und sagen, man sei nicht gewarnt worden.
Neben diesen Gewächsen, die eigentlich nichts für ihr artspezifisches Verhalten können, gibt es noch die andern, die bösartigen Individualpflanzen miesen Charakters. Ich kannte mal einen Phlox, der geradezu strotzte von Perfidie und Lebenssaft. Wenn sein Pflegepersonal vorbeilief, war alles in bester Ordnung, aber wehe, der Chef liess sich blicken: Augenblicklich schrumpelte sein (des Phloxes) Laub zu teebrösligem Elend zusammen, woraufhin besagter Chef uns arme Gärtnerinnen zusammenfaltete, was wiederum besagten Phlox noch mehr aufblühen liess. Bösartige Azaleen sind in der Lage, Kontaktlinsen zielsicher zwei Meter weit in Farngestrüpp zu spicken (wiedergefunden, worauf ich noch heute stolz bin) und dabei vernehmlich zu kichern. Tannen an Bergwegen wetteifern darum, wer am meisten Wanderer durch ihre Wurzeln zu Fall bringt. Die meisten von uns kennen solche Beispiele, doch erst jetzt dämmern uns die Abgründe pflanzlicher Bosheit.
Und überhaupt: Was ist schon von Lebensformen zu halten, die ihre abstrus geformten Geschlechtsteile in die Luft strecken und hoffen, dass sich Insekten darauf tummeln? Eben. Dann doch lieber Schleimpilze!
Nachtrag von Nick: Auch andernorts öffnet die Unmögliche auf ihre unnachahmliche Art der Welt die Augen, und dies pflanzmonatlich gar.
Abgründe!
Ja, nicht wahr? Endlich kommts ans Licht. Unsere Waffen seien Glyphosat und Salat!
Gratulation zum 3-jährigen! 🙂
Und auch ein Danke an die Gastschreiberin. Mein Lieblingssprechenderpflanzenname ist übrigens “Stinkerchen”.
Oh, was ist denn das? Houttuynia? Tagetes?
“Und überhaupt: Was ist schon von Lebensformen zu halten, die ihre abstrus geformten Geschlechtsteile in die Luft strecken und hoffen, dass sich Insekten darauf tummeln?”
Pflanzlicher Exhibitionismus?;)
Den Grüntönen alles Gute zum Geburtstag und danke für den Text…, unmöglich!;)
Ja, genau, pflanzlicher Exhibitionismus! Die sind nämlich fähig zu sowas. Grüne Perversenbrut, jawoll!
😀
Sehr schön und alles Gute zum Dreijährigen Jubel!
Die wurzel-in-den-Weg-reckenden Tannen erinnern mich sehr an die flachländischen Alleebäume (Darf ich einen Link setzen? Wenn nicht, entferne ihn bitte, Nick!) – http://www.baumpflegewipfelstuermer.de/baumpflege/die-springenden-alleebaeume/ – die sind doch gewiss miteinander verwandt oder verschwägert oder von grundauf hämisch veranlagt. Oder so.
Unmögliche,
was für ein wunderbar unmöglicher Satz (ünmüglich würde meine Freundin aus Costa Rica sagen, die mit Umlauten stets auf Kriegsfuß steht). Ich habe herzlich gelacht, so sehr, dass meine postprandiale Müdigkeit völlig verflogen ist und erkannte mich und meine Gärten Wort für Wort wieder.
Ein Hoch auf die Grüntöne, auf Nick ganz besonders, aber auch auf die Gastschreiber/-innen!
Text, nicht Satz! *räusper*
Danke, ein wunderbarer Text, und sooo wahr!
Herzlichen Glückwunsch zum Dreijährigen!
*überreicht einen Strauß aus blauem Beinwell, Baummohn und Lampionblumen, garniert mit Maiglöckchen, Vergissmeinnicht und Wildem Hopfen*
Die Alleebäume sind ja… aber sowas von! Ein Bruder im Geiste! Noch gibt es Hoffnung…
*steckt noch ein paar Sachalinknöteriche mit in die Vase*
Huch! Ich habe in meinem Sträußchen den Kriechenden Hahnenfuß (Ranunculus repens) vergessen!
*holt das VErsäumte schnellstens nach*