Man wacht am Morgen mit Muskel- und anderem Kater so halbwegs auf, öffnet ein Auge und hat keinen blassen Dunst, wo man sich befindet. Im Dämmerlicht macht man Kartons aus – viele, ganz viele – und erinnert sich wieder. Stimmt ja. Man ist gerade umgezogen. Ganz kurz hat man dieses abenteuerliche Kribbeln im Bauch – hach, ist das alles spannend und so neu und so hach! – und wird dann auf die harte Kartonrealität zurückgeworfen. Auspacken. Herrje. Das Aufstehen ist hart, denn die Kaffeemaschine ist zwar in der Küche, aber in welcher Schachtel genau, wissen nicht mal die Götter. Immerhin eines steht fest: Als erstes wird die Küche eingeräumt, Hauptsache, man gelangt demnächst an das bittere Gebräu.
Was das mit „Garten“ zu tun hat? Gemach, es kommt.
In deiner gewollten und vorgestellten Welt befüllst du alle Kästen und Schubladen so, dass du dich noch ein Äon später schulterklopfend dafür lobst. Sinnig, platz- und zeitsparend.
In der Regel kommt es anders, was dann auch meist recht früh offenkundig wird. Und? Änderst du was dran? Nö. Also … du vielleicht schon, ich aber tat’s nicht. Bloß geärgert habe ich mich. Jahrelang.
Den einen klein bemessenen und sehr steilen Hang vor der Küche (weswegen ich ihn bis heute „Küchenhang“ bzw. „Kühang“ nenne) traf ich bei meinem Einzug zu einem Viertel von Cotoneaster bedeckt an, der Rest war kurz zuvor gründlichst aufgerundet worden. Das Roundup hatte alles zerstört, abgesehen vom Cotoneaster und den später wieder munter sprießenden Ackerwinden, und ausgesehen hatte es erbärmlichst.
Nachdem der Kühang recht schnell zum Sinnbild all meiner Irrungen und Wirrungen geworden war, hatte ich irgendwann dann doch noch zu einer Bepflanzung gefunden, die einigermaßen daherkam sowie die Erde und das gärtnernde Mich vor Rutschpartien bewahren konnte. Recht früh wurde offenkundig, dass ich sie trotzdem nicht so brüllend toll fand, aber irgendwie mochte ich nichts dran ändern.
Die eine, total dusslig eingeräumte, nervenzermürbende Schublade kriegte nach zwölf Jahren eine Zuckerdusche verpasst. In der Tüte waren höchstens noch dreihundert Gramm, aber als sie mir über der offenen Lade aus den Händen geriet, schien die gesamte Küche nur noch aus Zuckermolekülen zu bestehen. Es half alles nichts, da musste ausgeräumt werden. Mehr als nur die offene Schublade. Und siehe da: Man räumte sinnig, platz- und zeitsparend wieder ein.
Und dann gleich alle übrigen Schubladen und Kästen … wenn man eh schon dabei war.
Im Kühang war es kein Zucker, sondern Schuppen vor meinen Augen bzw. eine Buddleja alternifolia. Die letzten Jahre hatte ich damit verbracht, nach der Blüte alle Flügel dieses wunderschönen Schmetterlings zu kürzen, weil sie sich höchst unästhetisch kreuz und quer über die fünf Thuja „Danica“-Kugeln zu legen gedachten, die ich als vertikale Abgrenzung zum Nachbarhang gepflanzt hatte.
Vor zwei Wochen stand ich unten am Hang, war am Ackerwindenreißen, hielt inne, ging ein paar Schritte zurück, blickte den Hang empor, kratzte am Mückenstich unter dem Knie und sah der nackten Wahrheit ins entlarvende Auge.
Die Thujen fand ich, kurz nachdem ich sie gesetzt hatte, schon reichlich daneben. Getreu meiner verqueren Logik hatte ich also beschnitten, was ich toll finde, damit das Untolle toll aussehen konnte.
Ich kratzte immer noch am Mückenstich rum. Ja, genau. Selbst mein Knie hätte sich niemals so was Albernes ausdenken können. Während ich selbstkasteiend den Kopf schüttelte, sah ich erst die wirkliche Pointe: Hätte man die Buddleja unbeschnitten gelassen, dann hätte sie schon längst die plumpe betonerne Grenze der Nachbarn verhüllt. Betörend, hinreißend, wasserfallig … Mir fehlten die passenden Schimpfworte, um mich angemessen zur Minna machen zu können. Kopfschüttelnd schlurfte ich zu den Ackerwinden zurück und beschloss, noch in derselben Woche den Thujen ans Lebendige zu gehen.
(Aus drei Danicas wurde dekorativer Mulch. Die anderen beiden warten, bis die Buddlejatriebe lang genug sind, um ihr eigenes Unterhosenholz züchtig zu bedecken. Muss ich anfügen, dass diese Grenzabgrenzung jetzt schon stirnklatschende hundert Male schöner ist?)
Natürlich stellt sich – zumindest mir – die Frage, wie so etwas überhaupt passieren kann. Wie man selbst seines Unglückes Schmied ist und es so ewig lange nicht mal realisiert (weder das Unglück noch die Schmiederei). Es muss wohl an einer Mischung aus Gewöhnung und Trägheit liegen und daran, dass es jetzt auch nicht sooo wichtig ist, ob die Schublade erst nach dreimalig heftigem Ruckeln aufgeht oder halt das Thujagedöns da steht. Geistesblitze lassen sich in solchen Fällen offensichtlich sehr viel Zeit. Und mit Geistesblitzen meine ich jetzt keine großartigen weltbewegenden Ideen, sondern nur eine kleine Böe Verstand. (Wenn sie denn kommt, ansonsten hilft Zucker ganz prima.)
Die Verstandesböen kamen dieses Jahr wie Falten; im Rudel nämlich, sowohl inner- als auch außerhäusig. Ein Umstand, der mich noch viel mehr in meinen verunsicherten Grundfesten wanken ließ als die Buddleja-Geschichte.
Zwei elektrische Zahnbürsten. Zwei Aufladestationen auf engstem Raum nebeneinander, eine Steckdose*. Jedesmal ein Gefummle, Zurückgefühle und Stirngerunzle, bis ich wusste, welcher Stecker denn nu zu welcher Station gehört. Fünf Jahre lang. „Und wenn man einfach“, so böete es diesen April aus heiterem Himmel, „um den einen Stecker knallrotes Tape kleben täte?“
Der Blick auf meine Lieblingshemerocallis war ernüchternd: „Aha, die Knospen sind schon dicker geworden. Hm. Und nun wird sie nächstens blühen. Wie blöd auch.“
Bei diesem Satz würde jeder Normalmensch wie ein Maki gucken … oder zumindest wie ein Auto. Allein, die wunderschöne Blüte erinnerte mich schmerzlich daran, dass sie sich farblich mit der Umgebung biss. Zähneschmerzend. Schlimmer noch, in dieser Ecke war sie kaum zu sehen.
Der Blick auf den einen Randhang war ernüchternd: „Da fehlt was. Was echt Schönes, nicht zu Hohes. Wann, verflucht, kommt mir mal das eine Richtige in den Sinn?“
Es lüftelte im Mai und jetzt steht die „Border Music“ im „Border“. Nach drei Jahren Knospenaufreger- und Sinniererei.
Die anderen Beispiele erspare ich euch. Aus psychohygienischen Gründen auch mir.
Vor einer Woche haben sie aufgehört, die Böen. Ein verunsichernder Umstand sondergleichen. (Ich kann mich nur schlecht konzentrieren, weil der Velociraptorenmann gerade alle realen und potenziellen Nachbarhähne in Grund und Boden kräht. Ich meine, ich hätte eben gesehen, wie die Stipa tenuissimas weit entfernt vor Schreck erzittert sind. Kein Wunder, dass da Musen von Schultern runterhüpfen.)
(Er hat aufgehört. Die Muse ist wieder raufgehüpft.) Ich sitze draußen, sehe einen Drittel meines Gartens ein und habe den Rest vor dem einen geistigen Auge. Unbehagen macht sich breit. Wenn man gerade Schlag auf Schlag erfahren durfte, dass der eigene IQ irgendwo zwischen 25 und 30 rumdümpelt, dann ist dieses dumpfe Gefühl durchaus berechtigt. So kann man sich doch nicht mehr trauen!
Die Augen zu schlauen Schlitzen verengt überfliege ich den einsehbaren Teil auf der Suche nach verqueren Albernheiten, die seit Jahren danach lechzen, erkannt zu werden.
Vor mir hat sich just eine Spinne abgeseilt, inne gehalten und schaukelt jetzt dekorativ vor meinen Augenschlitzen in der Luft. Die Rosen weiter hinten kichern sich einen in die Blüte, rechts glucksen Briza medias zitternd vor sich hin, scheinbar ungerührt stehen die Ritter und Digitalis da – nur wenn man länger hinschaut, sieht man das schelmische Zwinkern -, die unerhörten Samenstände der Pulsatillas halten sich den bärtigen Bauch vor Lachen … ich werde das dumpfe Gefühl nicht los, dass man sich weid- und köstlich über mich amüsiert.
Recht haben sie. In vielerlei Hinsicht.
Man wacht am Morgen auf, loggt ein, guckt sich verwundert um, und vage dräut die Erinnerung. Da war doch was mit fünftem Juni und Armageddon (Erklärung: garten pur erfuhr am 1. Juni ein Upgrading). Verwirrt sucht man Schachteln, aber der Umzugsservice hat schon alles erledigt. Kostenlos.
Die Kaffeemaschine steht an Ort und Stelle. Man drückt aufs Knöpfchen und schaut über die Schulter. Bis aufs letzte Fitzelchen ist alles bereits eingeräumt, besser als zuvor, nur ein paar Schubladen klemmen noch ein bisschen.
Ich bin nicht ganz alleine. Was bin ich froh.
*Nichtgärtner wies mich beim Vorkosten dieses Textes dezent darauf hin, dass: „Und es sind zwei Steckdosen, by the way.“ Ihr seht, nicht mal zählen kann ich.