Es liegt nicht am gregorianischen Kalender, dass der Januar auf den Anfang der neuen Gartensaison fällt … meiner jedenfalls. Hielten wir es heute noch wie die alten Römer und würden die Korken in der Nacht auf den ersten März knallen lassen, wär mir das pupsschnurz. Der Januar bliebe der, der er bei mir ist.
Dumm waren sie ja nicht, die Römer, immerhin trifft der März allerorten auf williges Reproduktionsverhalten; die Röcke werden kürzer, die Blicke länger, Stecklinge und Aussaaten gehen schwindelerregend gut an, es wallen die Säfte, es quaken die Frösche, es flügelschlägt und kratzfußt allenthalben. Allein als gärtnerndes Wesen schlage ich da komplett aus der Art, ja, aus der gesamten Natur sogar. Dabei kann es so unnatürlich nicht sein, hat doch hier mein gärtnerischer Biorhythmus seine lenkenden Hände im Spiel, und der überschüttet mich nun mal verfrüht mit einer Reproduktionslust der eindrucksvollsten Art. Zumindest gedanklich und auf dem Papier. (In einem ganz schwachen Moment verlockte mich das unschuldige Essen einer Zitrusfrucht dazu, die fein säuberlich auf den Tellerrand gelegten Kerne in Topferde zu stecken. Ein gnadenlos deppertes Unterfangen, denn ich hatte weder Platz, Zeit noch Begehr, mich in den nächsten Jahren mit Mandarinenpflanzen rumzuschlagen. Von den sechs Kernen gingen sechs an, ich stand davor und freute mich zermürbt zähneknirschend. Seither verzehre ich Zitrus- und ähnliche Früchte jänners nur noch mit größter Wachsamkeit.)
Sollte hier ein normaler Mensch mitlesen: Dieser Drang nach Insemination durch die eigene Hand, danach, triebhaft eine Aussaatschale zu befingern und lustvoll in einen Sack voller fluffig-nährstoffreicher Erde zu greifen, zeugt nicht von einer seltsam ausgerichteten Libido oder allgemein geistigen Zerrüttung. Platt auf den Punkt gebracht: Wer eine Woche lang nichts essen konnte, der fällt auf dem unendlich lange erscheinenden Weg zum Supermarkt gerne mal gewissenlos eine grasende Kuh an. Und im Januar sind wir Gärtner schon deutlichst länger auf Diät – Gehölzschnitt und Ähnliches verhindern immerhin den Hungertod, sättigen aber nur oberflächlich.
Die Saison beginnt also. Im Kopf. Gedanken keimen, sprießen und finden ihren Weg ins Gartentagebuch, ein Ersatz schon alleine deswegen, weil letzteres namentlich mit „Garten“ beginnt. In meinem ist bei vielen vergangenen Januaren der unermüdlich selbe Satz zu lesen, nur ansatzweise variiert: „Dieses Jahr wird das beste überhaupt. Ganz sicher!“
Nicht weniger als gartenumspannend war das gemeint – von Nichtpilzbefall über üppige und doch verwertbare Ernten bis zu perfekten Beeten im gesamten Jahresverlauf. Golden lag die Zukunft vor Füßen: Die Schnecken mitsamt ihrer verfluchten Source Populations brächte man unter Kontrolle, nichts bräuchte gestäbt zu werden, man säte und steckte genau die Anzahl, die man auch benötigt, es gäbe keine unliebsamen Farbüberraschungen und man verlöre keine Campanulas aus den Augen (ich habe sie übrigens immer noch nicht gefunden, aber jetzt im Winter mag ich auch nicht suchen).
Diese Prophezeiung hatte nichts Nostradamisches, sondern gründete auf profaner Logik. Natürlich musste es im Frühjahr prunken, schließlich hatte ich mich im letzten Herbst überwunden und endlich mal käuferisch deftig bei den Zwiebelblumen zugelangt. Selbstverständlich konnte die Ernte nicht anders als besser ausfallen, seit neustem hatte ich nicht weniger als 40 m2 mehr zu bestellen. Zweifellos würde mich die Black Baccara nicht enttäuschen, beglückte sie doch seit geraumer Zeit das städtische Kompostierwerk.
Dem allen unbenommen glichen sich die jeweiligen Einträge zum Jahresende ebenfalls auf verblüffende Weise: „Hmpf. Von wegen bestes Gartenjahr. Schön wär’s. Seufz.“
Was ich außer Acht gelassen hatte, waren zum einen die meist letalen Gegenspieler, genannt biotische und abiotische Faktoren. Da hilft weder Logik noch guter Wille, wenn die Witterungen das tun, was sie erwartungsgemäß nicht tun sollten, einem aus welchen Gründen auch immer drei entscheidende Monate lang die Hände gebunden sind oder ballspielende Reproduktionsprodukte Wachsendes zu Tode trampeln.
Blöd genug, schließlich sind wir einander von Gartenbeginn weg vorgestellt worden, die Faktoren und ich. Aber grämender Unmut paart sich halt gerne mal mit Ignoranz.
Das Andererseits brauchte richtig lange, bis es mir dämmern wollte. Sogar wenn die – verzeiht mir die Entgleisung – Fucktoren nicht oder nur unmerklich reingepfuscht hatten, am Ende des Jahres blieben dieses Hmpf und jenes Seufz. Woran mochte das liegen?
Daran, woran es immer liegt, wenn ich es ewig lange nicht rauskriege: An mir.
Wenn ein Vierjähriger stolz auf sein krakeliges Rechteck mit knapp zu erahnenden Dreiecken und Kreisen guckt und meint, er hätte Papa gut getroffen, dann kommt es mir sehr nahe, als ich auf meine ersten vier Narzissen, sechs Stiefmütterchen und drei Tulpenknospen herniederblickte und von „überbordender Frühlingsfülle“ sprach. „Besser“ war in diesem Falle einfach zu bewerkstelligen – es passierte sogar ganz von alleine. Das Blöde dran ist, dass das Besser mit jedem neuen Jahr noch besser als besser sein muss, um als „besser“ durchgehen zu können – ganz zu schweigen vom Besten. Es ist genauso hirnverknotend, wie es tönt, genau darum habe ich es auch sein lassen: Seit einigen Jahren findet sich der Unsatz mit dem besten Gartenjahr nirgends mehr, allerhöchstens als flüchtiger Gedankenstreifling, aber ganz bestimmt nicht mehr auf Papier.
(Nur, um es mal losgeworden zu sein: Gartenzeitschriften sind diesbezüglich des schlimmsten Teufels überhaupt. Des allerschlimmsten, wenn die opulenten Bilder weder geschönt noch fotogeshopt sind. Der vergleichende Blick auf deinen eigenen Garten lässt dann nicht mal mehr ein „gut“ zu.)
Weil ich ein Mensch bin, der gerne Freude empfindet, mussten folglich seelenstreichelnde Tricks her. Im Januar werden die Erwartungen so tiefgestapelt, wie es nur irgendwie geht: „Ich freu mich schon, wenn ich ein Schälchen Erbsen ernten kann. Im besten Fall ohne Wicklerlarven drin, aber es ginge auch so.“ oder „Sofern mir nichts dazwischenkommt, wären ca. 50 Teucrium-Stecklinge eine prima Sache, weil nötig. Mal gucken.“ oder – ganz listig – „Die Amsonia wird sich dieses Jahr sicher nicht merklich bestocken.“ So klappt das dann auch mit der zurückblickenden Zufriedenheit nach Saisonende.
Dem nicht genug. Um dem Besser-ist-nicht-gut-genug-Problem ein Schnippchen zu schlagen, genügt es, sich auf etwas zu konzentrieren, was laut eigener Definition gar nicht besser sein kann: Neues nämlich. Bei allen Pflanzen, die ich noch nie hatte, entspricht die Anspruchshaltung derjenigen des dreijährigen Papa-Zeichners. Mit meinem Weihnachtsgeschenk an mich selber habe ich das perfekt hingekriegt: Gaaanz viele neue Samen für gaaanz viele neue Pflanzen. Samen beglücken nämlich schon im mikroskopisch kleinen Keimblattstadium. Und damit ich nicht gleich rumheule, falls sich der eine oder andere Versager darunter befindet, ist das Arsenal ansehnlich groß und breitgefächert.
Seit dem Kauf tipple ich immer wieder mal zum Päckchen mit den neuen Samentüten, nehme sie raus, halte sie mir ans Ohr und lausche selbstvergessen dem Schüttelgeräusch, lese zum zwanzigsten Mal die Beschreibung, und schaue hie und da aus dem Fenster.
Draußen ist seit Weihnachten nämlich auch was Neues. Kein Geschenk im strengen Sinne, wenn schon, dann eher Asylant, aber freuen kann ich mich riesig über den neuen Velociraptor. Jetzt jedenfalls. Ich hätte ihn beinahe wieder zurückgegeben, hätte mir die Fügung nicht eine reichlich beleibte Teenieschnecke unter den Mulch geschoben. Um die Raptoren vom unwirtlichen Wetter abzulenken, begab ich mich mit ihnen zu den gemulchten Gemüsebeeten und stocherte animierend im Laub rum. So richtig schien ihnen der Sinn meines Verhaltens nicht aufzugehen – alle versammelten sich um mich kauerndes Stocherwesen und warteten drauf, Kleingetier auf warmer Hand dargeboten zu kriegen. Und dann kam der Schneck. Ich bot reihum an, angewidert wandten sich alle nach kurzem Hinäugen ab … bis auf den Neuen. Kaum geäugt, wurde zugepickt und haps! runtergeschluckt. Seit dieser Millisekunde haben wir einander so richtig lieb.
Das wird ein super Jahr, sag ich euch! Ich werde extra ein gesichertes Schneckenhäuschen bauen, damit wenigstens noch ein, zwei Exemplare in meinem Garten überleben können. Allein der Nostalgie halber.