Ich schlug mit der Kreuzhacke … fast stets daneben. Und wenn ich zufälligerweise mal traf, war der Rückstoß so wummernd, dass ich eine Weile brauchte, um wieder scharf sehen zu können. Zu meiner Verteidigung sei angefügt, dass der Aktionsradius so begrenzt wie des Strauches Alter hoch war. Da waren ringsum Steine, Platten, Rosen, ein statisch unerlässlicher Pfeiler, eine kratzende Hecke, Haustiere, die größtes Interesse am aufgehackten Boden bekundeten … erschwerte Bedingungen nennt man das. Und – seufz – zu wenig Muckis.
Nach anderthalb Stunden dampfte mein Schweiß im kühlen Herbstnebel, allein das Ding stand immer noch un-ver-rück-bar an derselben Stelle. Dass es dies halb wurzelnackt tat, half mir letztlich nicht viel weiter. Ich legte die Kreuzhacke demonstrativ hin (im Normalfall hätte ich sie weggeräumt … oder es wenigstens gewollt), beschloss, morgen weiter dran rumzuverzweifeln und begab mich in den geheizten Feierabend. Zum weiteren Hacken kam ich in den folgenden drei Wochen irgendwie nicht mehr.
Meine deutlich jüngere und auch sonst tollere Schwester hatte, wie sie mir etwas später gestand, sich heimlich dran versucht und bereits nach drei vergeblichen Schlägen einen bösen Rücken zu beklagen. Das war mir Warnung genug.
Nach den drei erwähnten Wochen kam ich wieder zu meiner Stunde, schlenderte fröstelnd herum, erinnerte mich und begab mich zum Strauch. Die Kreuzhacke lag immer noch etwas weiter weg an geschütztem Ort und zwinkerte mir schalkhaft zu. Ich seufzte tief, schaute auf die aufgehackte Erde rund um die Wurzeln, streckte zaghaft eine Hand aus und ergriff einen der Äste. Vielleicht, wenn ich ganz deftig dran rumzerre, bewegt er sich inzwischen doch … durch die Kälte oder so, wer weiß. Ich hatte kaum zu Ende gedacht, geschweige denn ernsthaft gezogen, als ich den ganzen Strauchrest vom Boden lupfte. Mitsamt Wurzel.
Ich brauchte tatsächlich eine halbe Stutzminute, bevor ich zum Haus stürmte und noch halb in der Tür ins Wohnzimmer rief: „Du warst das! Oder? Hihi!“ Da hatte er mich schön reingelegt, der kichernde Nichtgärtner. Dankbar bedankte ich mich, hängte aber sogleich an: „Wobei … eigentlich wollte ich es doch schaffen. Seufz.“
Gerade, wenn man ewig an etwas rumknorzen muss, ist die Befriedigung darüber, nicht aufgegeben und siegreich die Schlacht verlassen zu haben, ein unschätzbares Geschenk an sich selber. Dafür zahlt man sogar gerne mal mit schmerzhaften Nebenwirkungen.
Hier ging es aber noch um ein Etwas mehr. Der widerstrebend gefällte Strauch war kein anderer als der zweifarbige Eibisch, den ich mir gekauft hatte, noch bevor wir in diesen Garten zogen.* Nun kann man das cremig nüchtern sehen, hätte man nicht diese meine bedusselte Neigung, in allem und jedem etwas Symbolträchtiges zu wittern. Das krumm gewachsene Unschöngeschöpf war – ich kann’s nicht anders sagen – mein Erstgesetztes und somit der Anfang meiner Verwandlung von Mensch zu Gärtner. Schon als es um die Entscheidung ging, den Hibiscus zu entfernen, rang ich mit höchst unvernünftigen Gewissensbissen. Tapfer bemühte ich mich, pragmatische Härte zu beweisen, und beruhigte mich selber mit den Worten: „Er hatte ein schönes Leben. Ich bin es ihm schuldig, ihm mit meinen eigenen Händen einen schönen Tod zu gönnen: Kurz und schmerzlos. Es sei ihm gewährt.“
Nun ja.
Jedenfalls steht er jetzt noch da, als wäre er nicht entwurzelt worden. Ich brachte es weder über das Herz noch den inneren Schweinehund, ihn handlich zerstückelt für immer zu entfernen. Mal schauen, wie lange er noch dort stehen bleibt.
Die Frage sei gestattet, warum er wegmusste. Immerhin gewähre ich diversen Pflanzgeschöpfen schon jahrelang Asyl, obwohl sie es streng genommen nicht verdient hätten. Es ist so simpel wie einfach: Garten Pur ist mal wieder schuld. Hätte ich diesen Sommer nicht einem gewissen Pur-betonten Fernsehbeitrag beigewohnt, mit Nichtgärtner an meiner Seite, hätte ich auch nie rausgefunden, dass er diesen Zanthoxylum simulans mit seiner Dino-Haut echt scharf findet. Und wie immer, wenn der Mann etwas gärtnerisch scharf findet, werde ich unwillkürlich schwach und setze alle Hebel in Bewegung, damit das ersehnte scharfe Ding auch seinen wurzelnden Weg zu uns findet. In diesem Fall gab’s nur ein „quid pro quo“: Hibiscus raus, Zanthodino rein.
(Es stellte sich heraus, dass die Wegfindung komplizierter ist, als ich angenommen hatte. Wir sind nun sowohl hibiscus- als auch zantholos.)
An dieser Stelle möchte ich den Mahnfinger erheben. All jenen gegenüber, die ähnlich veranlagt sind wie ich (der Rest kann weiter runterscrollen und gähnend den letzten Abschnitt lesen).
Punkt eins: Symbole sind gut und schön, aber man kann’s auch übertreiben. Es bricht wider Erwarten nicht der ganze Garten unter Mehltau, Krautfäule, Monilia und Weißichnichtwas zusammen, wenn man das Erstgesetzte entfernt (ich spreche da aus Erfahrung).
Punkt zwei: Wenn man im gleichen Monat einen toten Fisch im Teich, einen ebensolchen Frosch im Pfefferminzbeet und einen dito Jungvogel halb aus dem Nistkasten hängend erblickt, ist das nicht der dräuende Anfang der Apokalypse (ereignete sich vor vier Jahren. Die Erde dreht sich ungerührt und immer noch. Also.).
Punkt drei: Begehe nie, nie den Fehler, die Pflanzen nach irgendwelchen Leuten zu benennen. Ich hatte mir den Spaß gemacht, geschenktes Grünzeug auf die Namen der Spender oder genau im Moment des Setzens auf die geborener Kinder von Bekannten zu taufen. Das fand ich witzig und sinnig. Bis zu dem Moment, als ich der Rose „Gian“ den Todesstoß versetzen musste. Die lief nämlich unter „Gian geboren, als Black Baccara gesetzt“. Sensible Zeitgenossen können ansatzweise erahnen, was für zersetzende Gedanken in mir aufstiegen, als ich Letztere aus dem Mutterboden riss.
Es ist ein Abschied in vielerlei Hinsicht. Der Hibiscus ist weg. Die Saison ist vorbei. Die Gartenleidenschaft brodelt … verhalten. Es hat allenthalben eingezogen und schläft den Winterschlummerschlaf, nur ein paar trotzige Wintergrüne recken ihre Triebe keck in den stürmisch verzettelnden Nordwind.
Morgen wachen wir wieder auf.
Bis dahin wünsche ich euch schöne Weihnachten und einen elegant gleitenden Rutsch ins nächste Jahr.
Der Hibiscus lacht sich währenddessen ins Sämlingsfäustchen.
Zu Recht. Einen seiner sehr erstarkten Sämlinge hatte ich noch vor dem finalen Todesstoß in die Hecke gesetzt. So bald gebe ich meinen Gärtneranfang dann doch nicht auf.
Prosit!
* Siehe „Blaue Vögel“