Besinnungslos glücklich

Würde ich alle Momente addieren, in denen ich verzweifelnd, grummelnd, depressiv und ganz einfach tötestens unglücklich vor Gartenelend stand und stehe (und ich meine hier ausschließlich das und den eigenen), dann ergäbe das eine stattliche Summe. Erstaunlich, dass diese Tatsache bislang noch keinen eigenen Artikelweg in die Grüntöne gefunden hatte. Es könnte hinwiederum auch daran liegen, dass diese Unglücksphasen innert Sekunden in herumhüpfende Jubelmomente kippen können. Mein Nichtgärtner kann da Vierstundenopern von singen. So schlurft ein niedergedrücktes Etwas von Mensch ihm entgegen, hat gerade noch so viel Kraft, um einen Arm und an dessen Ende den Zeigefinger in Richtung des Elends 325690 zu heben und ächzend zu stammeln: „Guck dir das an! Ich könnt … könnt ich!“ Der Angesprochene guckt in die stammelnd angezeigte Richtung, sieht dieselben grünen Haufen wie an den nicht angezeigten Stellen, und fragt sich still, aber angestrengt, was er nun am ehesten sagen sollte. Aus oft erlittener Erfahrung weiß er, dass mitfühlendes Schweigen die beste Wahl ist, zumal gärtnerische Sprachlosigkeit schätzungsweise höchstens eine Minute dauert … und auch nur dann, wenn es ganz besonders schlimm ist. „Meine (siehe da, der Nichtgärtner vermutete richtig) Bodendeckerthymianstecklinge sind allesamt überwuchert worden von diesen Scheiß-Selbstversamungs-Lobularias, ok, die sind hübsch, ok, die duften unglaublich gut … aber hallo? Die ganze Sauarbeit für die Katz, echt jetzt. So wird das nie ein anständiger Thymianbereich, verflucht noch mal.“ Nichtgärtner hat spätestens nach dem ersten ellenlangen Wort abgehängt, wohlwissend, dass er eh nur ‚Xczhwerjkbnuigkab sind allesamt überwuchert worden von Kjahundwezmonfz, ok, sie sind hübsch etc.’ verstehen kann. Und er ist schlau. Denn nachdem die erste Tirade über Kjahundwezmonfzens gekrischen wurde, herrscht plötzlich ephemere Stille: „ … Oh-mein-Gott! Schau mal daaaa! Nein, ich fass es nicht!“ Nichtgärtner folgt dem entrückten Blick und sieht dieselben grünen Haufen wie zuvor. „Da ist wieder eine Walzenwolfsmilch von selber aufgetaucht! Das glaub ich jetzt nicht! Siehst du die?“ Nichtgärtner kann sie nicht sehen, weil aus seiner Perspektive nichts zu sehen ist. Nichtsdestotrotz nickt er. Erleichtert.

Hätte ich auch nur ein Fitzelchen Anstand und Ehre im Leib, tät ich den ursprünglichen Titel dieses Eintrags ignorieren, in den nachfolgenden Zeilen eine flammende Lobeshymne auf verständnisvolle und darum gebeutelte Nichtgärtner singen und am Ende dem Kind einen anderen Namen geben: „Die NG-Ode“ zum Beispiel.

Ich hatte die Waschbetontreppe schon mal erwähnt. Sie an sich war mir schon immer ein Dorn im Auge, Stein im Popo und Anlass für Gartenelendsgefühl, aber verschwiegen hatte ich den einen Begleitumstand. Der manifestierte sich in einer Rolltreppe für Rasenmäher, Schubkarren und ähnlich zu schiebend-rollende Dinge. Sprich: Links neben der Treppe führte ein Plattenweg in ca. 40%-Steigung hinan und -ab. Den führte ich gleich zu Beginn ad absurdum, als ich Lavendel daneben gesetzt hatte. Da war kein Durchkommen mehr, nicht mal für schlängelnd-flexible menschliche Beine. Als der zum zweiten Mal demonstriert hatte, dass es dort um die Drainage nicht sonderlich bestellt ist, setzte ich Aster dumosus hin. Rechts der Treppe und links der rollenden. Nun hätte man wieder runterrollen können, hätte ich nicht die obersten zwei Platten entfernt, um dort meinen Xczhwerjkbnuig-Bereich zu erstellen. Und über Xczhwerjkbnuig schreitet man höchstens. Vorsichtigen Schrittes. Die Rolltreppe hatte ihren Sinn also mehr als verloren. Zwischenzeitlich flammte ein neuer auf, weil die Velociraptoren sie dem Waschbetonhüpfen vorzogen. Bis zu dem erheiternden Zeitpunkt, als sie rausfanden, dass ihre Krallen auf den regennassen Platten nichts ausrichten konnten und sie popovorwärts runterrutschten, um schließlich schnöd und bar jeglicher Eleganz vom unten hingeknallten Sedumtopf gebremst zu werden. (Wen es interessiert: Sedum cauticola „Lidakense“)

Ich merke gerade, dass ich noch nicht mal ansatzweise zum Anfang des von mir beabsichtigten Themas gelangen konnte. Aber wer nur alle zwei Wochen schreibt, darf sich jeweils auch länger ausbreiten. Oder? … Doch. Ich meine: ja.

Wie auch immer, die Rolltreppe hatte ihren Zenit überschritten. Und eines sehr späten Nachmittags (man hat jahrelang Zeit dafür, aber nein, gerade heute, kurz vor Feierabend, kurz vor dem angedrohten Gewitter, da kann es keine Sekunde länger warten. Jetzt muss man da ran. Umschweiflos.) bat ich den Nichtgärtner, mir dabei zu helfen. „Muss das unbedingt jetzt sein?“ fragte er, guckte mir ins Gesicht … und zuckte mit den Schultern: „Na denn, packen wir’s an.“
Es dauerte schätzungsweise eine Viertelstunde. Eine Viertelstunde! Leute, ich hab mich über diese Rolltreppe mindestens zwölf vermaledeite Jahre lang aufgeregt! Das allein versetzte mich in so ein hohes Hoch, dass ich die nackte Erde nackig lassen konnte und den nächsten Schritt auf morgen verlegte.

Am morgigen Tag versetzte ich die Astern um ein großzügiges Stückchen nach rechts. Was zu viel war, kriegte die Nachbarin, füllte zwei neue Töpfe (naaain, ich habe fast gar keine Töpfe, naaain, ich beklage mich niemals über die elende Gießerei …) und beglückte den Komposthaufen Nr. 1. Herrschaften, wir sind beim Anfang, raufgerutscht, fast direkt unter den Titel.

Als ich alles ausgestochen, geteilt, neu eingesetzt und vielerlei entsorgt hatte, genehmigte ich mir ein Glas Wein, entflammte eine Zigarette, setzte mich auf den einen – sich daneben befindlichen – Sitzplatz, legte die schmerzenden Füße auf den nächsten Stuhl und war dermaßen glücklich, dass ich tief nach Luft schnappen musste.

Da saß ich, leicht erschöpft, nahm einen neuen Schluck, nahm einen neuen Zug, betrachtete und hätte die Welt umarmen können. Mindestens drei (in Zahlen: 3) Quadratmeter neue Pflanzfläche hatte ich mir da aufgetan. Ein wohliges Zittern durchfuhr meine Eingeweide, ein Sonnenscheinlächeln hartnäckiger Art setzte sich auf meinen Lippen fest, ich atmete tief durch, nahm einen Schluck, einen Zug, ok, noch einen Schluck und erkannte. Das. Genau das und nichts anderes: Das ist Glückseligkeit.
An diesem Abend tat ich nichts anderes mehr. Mein Nichtgärtner musste mich schließlich mit überredender Gewalt vom Sitzplatz entfernen. Das ist der Vorteil, wenn sich die Jahre über, in und auf einem häufen: Man erkennt echte Glückmomente und man weiß, dass und wie man diese hinauszögern soll.

Und jetzt stellt euch einen normalen Menschen vor, der vor eben dieser Szenerie sitzt: Eine drei Quadratmeter große gähnend-braun-leere Fläche. Ulkig.

Gibt es etwas Erhebenderes als eine leere Pflanzfläche? Aus den glattgestrichenen Erdkrümeln flüstert es verheißungsvoll: „Füll mich, bedeck mich, schöpf aus dem Vollen.“ In den Endorphin-überschütteten Gedanken schwelgte ich in Lippenblütler-Sphären (denn so wurde das Beet dereinst gedacht), lang ersehnte, oft beiseite geschobene Wünsche erwachten zu neuem Leben, ich gönnte mir mental Geldschein werfende Einkäufe … besinnungslos starrte ich auf die nackte Ödnis und hätte mich am liebsten darin gewälzt.

Wünsche sind inzwischen erwacht, Geldscheine rumgewirbelt, neue Pflanzen nach Hause gefahren. Behutsam, fast besinnlich legte ich die Töpfe an ihre Plätze, arrangierte um, legte neu, überdachte, legte wiederum und stach dann beherzt zu. Als ich fertig war, rief ich laut nach dem Nichtgärtner und zeigte ihm die unglaubliche Neuigkeit. „Der Hammer, nicht wahr?“

Der Arme guckte angestrengt auf die zwischen den Erdlücken befindlichen Blattrosetten und meinte: „Aha.“ „Das wird nächstens alles zugewuchert von Xerzhwkerjk, Ljcowrejk und Dsdfcho. Das wird der Hammer, sag ich dir!“ Nichtgärtner nickt. Erleichtert.

 

Eigentlich wollte ich heute dort und an anderer Stelle Zwiebelblumiges versenken. Voller Tatendrang setzte ich mich auf die Popo-Aua-Treppe, um mich in Gedanken aufs Versenken zu freuen und rumzuhirnen, wo was wie. Aber dann freute ich mich so weltumarmend nicht nur darüber, dass ich es diesen Herbst geschafft hatte, mir Zwiebelpflanzen zu gönnen (dazu später mal – vielleicht), sondern auch, dass ich dieselben nächstens versenken kann und werde, so dass ich besinnungslos ins Haus lief, mir den Laptop, Zigis und Wein schnappte und an diesem Text weiterschrieb. Wisse: Das Glück gilt es hinauszuzögern. Im besten Falle es auch noch zu teilen mit Wesen, die dich verstehen.
Und morgen wird es … vermutlich regnen.

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