Gartenblut ist nicht, wie bislang fälschlicherweise angenommen, von vornehmem Sauerstoffrot oder pulsierendem Biogrün, sondern durchsichtig, bisweilen milchig-weiß, mal klebrig, mal wässrig, manchmal riecht es nach was, manchmal nicht (und es wäre beinahe zum Blognamen auserkoren worden – das musste irgendwann mal gesagt werden, auch wenn’s jetzt gar nicht passt.). Auf jeden Fall kommt es raus, wenn man ein Gartengrün verletzt. Und das reichte mir völlig. Schon kurz nach der letzten Teenagerhäutung hatte ich mich gegen jegliches Kaufen, Überreichen oder In-Empfang-Nehmen von Schnittblumen verwahrt. Die armen Blumen! Zu Tode geschnitten, um als Leichenteile die menschliche Selbstsucht zu befriedigen. Wenn man sie denn wenigstens essen würde! Mit dieser Einstellung bewaffnet bestritt ich tatsächlich mehr als ein Jahr im eigenen Garten. Da konnten mir noch so schlaue Bücher und deren schlauere Autoren lange was von „remontierend“ erzählen. Mit mir nicht! Schon allein der Gedanke, dass ich falsch drauflos schneiden würde, zu tief, zu hoch, zu was auch immer. Montieren genügte mir vollauf.
Es kam, wie es kommen musste. Meine Mutter kam zu Besuch. Ihr genügte ein Blick in den Zustand des Gartens und sie meinte, während ihre wachsamen Augen nach einem geeigneten Werkzeug Ausschau hielten: „Diese Sträucher da müssen mal richtig geschnitten werden. Komm, lass mich das gleich machen.“ Rückblickend kann ich dazu erläuternd erwähnen, dass sie vom Gärtnern in etwa so viel Ahnung hatte wie ich damals. Ein bisschen also und nicht viel mehr. Aber sie hatte etwas in ihrem Blut, das irgendwo auf dem Weg meiner zygotischen Teilung abhanden gekommen sein musste: Das Hausfrauen-Gen. Nun machen wir uns ja, zu Recht, gerne mal lustig über den so genannten Hausmeisterschnitt. Der Hausfrauenschnitt dagegen ist von ganz anderer Qualität. Zuerst einmal wird alles entfernt, was einen beim praktischen Ausüben allgemeiner Alltagstätigkeiten (wie Putzen, Scheuern, Fegen, Fugenreinigen, Kärchern, Mähen oder einfach dran Vorbeilaufen) stören könnte. Anschließend tritt man ein paar Schritte zurück, nimmt Maß und schnibbelt dann, dass die Blätter fliegen. „So muss das aussehen.“ Zurück blieben adrette Sträucher und ich.
Nachdem sich das wiederholt hatte, begann ich zögerlich damit, meine Einstellung zu überdenken. Gut, es hat schon Vorteile, wenn man nicht dauernd unter dem einen Feigenast hindurchkriechen muss, um auf der Gartenautobahn von A nach Z zu gelangen. Außerdem hatte sich Mutter bei gewissen Stauden bedient („Ich schneide jetzt mal einen schönen Strauß, der Esszimmertisch ist sonst so trist.“), ohne dass ich ihr hätte Einhalt gebieten können. Und guck da, einige von ihnen remontierten tatsächlich.
Es kam, wie es kommen musste. Ich steckte meine Nase in „So schneidet man richtig“-Bücher, guckte erfahrenen Gärtnern über die Schulter, löcherte sie mit Fragen, schärfte, was es zu schärfen gab (Blick, Werkzeug, Verstand, Beherztheit) und setzte an. Bei den Rosen übte ich. Bei der Wisteria hatte ich die Erleuchtung. Den Blauregen hatte ich geerbt und für einmal echt Glück gehabt. Er blüht, wie jeder Blauregen halt so blüht, aber dann tut er es nochmals und nochmals und nochmals. Eigentlich blüht er die ganze Saison hindurch, wenn auch nicht so verschwenderisch wie im Frühjahr. Weil ich mich schlau fand, wurde gleich daneben ein Sitzplatz errichtet. Mit Pergola. Damit der Blauregen uns über Kopf die Augen und Nasen erfreuen und beschatten würde. (Jetzt könnte ich mich vier Blogeinträge lang über die Unsinnigkeit von ewig blühenden Wisterien oberhalb von Steinplatten, die sich unter einer Sitzgruppe befinden, auslassen, verkneif es mir aber.) Das Schneiden also. Ich schnitt erst mal zögerlich. Da ein bisschen, dort etwas – huch, das war zu viel – da noch ein bisschen und dann war’s um mich geschehen. Hatte ich bislang gedacht, ich käme den Pflanzen beim Jäten am nächsten, wurde mir nun bewusst, wie falsch ich lag. Erst jetzt verstand ich die wachsende Logik dieses Schlingers, guckte ins markigste Allerinnerste, merkte, was tot war, was noch sprießen würde, schnupperte am frischen Schnitt, besah mir die Rinde, wie ich noch nie besehen hatte, dies alles wie im Rausch. Am Ende lag nach meinem Dafürhalten mehr Material auf dem Boden als am Gewächs, etwas mulmig legte ich alles beiseite und hoffte. Vergebens. Ich hatte alles richtig gemacht und durfte welke Blüten wischen wie noch nie.
Und siehe da, heute ist mir das Gehölzschneiden die liebste Tätigkeit, mein brodelndes Gartenblut, weil es letztlich eine Kunst ist. Das genaue Studieren des bisherigen Wuchsverhaltens, der Blick in die Zukunft: „Was passiert, wenn ich da oder dort schneide?“ und vor allem der Kompromiss – bisweilen muss man halt ästhetisch oder wörtlich untendurch gehen, bis das Gewächs tut, was man möchte. Ich stelle mir gerade vor, wie meine Mutter durch den Garten geht und instinktiv nach einem Schneidewerkzeug Ausschau hält. „Nee, lass mal, das muss so. Bevor du’s andenkst, im Haus stehen überall eingevaste Maiglöckchensträuße und von Schnecken angeknabberte Irisblütenstängel rum. Ich mach uns mal Kaffee und dann setzen wir uns unter die Wisteria, ja?“
(Meine Mutter hätte genickt, abgewartet, bis ich in die Küche verschwunden wäre, um dann, nur schnell, nur so nebenbei, den Sitzplatz zu wischen.)